Mandelas Pendant

Sein Vater war Senator gewesen, ein Onkel Premierminister, und so war es nur konsequent, dass auch er mit Anfang Dreißig ins Parlament ging. Die Familie de Klerk war seit mehreren Generationen weißer Adel im Südafrika der Apartheid. Vermutlich konnte nur jemand mit dieser Biographie das Ungeheuerliche tun.

Noch bevor Frederik Willem de Klerk im Jahr 1989 zum Staatspräsidenten aufstieg, hatte er mit dem prominentesten Gefangenen dieser Zeit zuerst Verbindung und dann Verhandlungen aufgenommen. Im calvinistischen Gottesdienst vor der Amtseinführung sagte der Geistliche ein paar Sätze im Wissen, was alsbald kommen würde: „Neue Pfade müssen gefunden werden, wo Straßen in Sackgassen enden oder nicht mehr befahrbar sind. Jene, die in den Wagenspuren der Vergangenheit steckenbleiben, werden feststellen, daß sie sich das eigene Grab gegraben haben.“

Die Apartheid hatte sich ihr Grab gegraben. Die neuen Pfade führten bald darauf dazu, dass der ANC als politische Partei zugelassen wurde und Nelson Mandela samt weiteren 120 Gefangenen in Freiheit kamen. Südafrika veränderte sich fundamental, ohne dass die große blutige Schlacht zwischen Schwarz und Weiß ausgebrochen wäre, die unvermeidlich zu sein schien.

De Klerk kam das Verdienst zu, dass er die Einsicht in die Notwendigkeit aufbrachte, die Apartheid abzuschaffen. Nelson Mandela kam das Verdienst zu, dass er für Friedfertigkeit und Versöhnung eintrat. Jeder der beiden ging einen weiten Weg. Jeder von ihnen stieß im eigenen Lager auf Unverständnis und Widerstand. Und beide besaßen genügend Autorität, um die große Abrechnung zu vermeiden und das neue Südafrika aufzubauen.

25 Jahre danach sagte de Klerk im Rückblick: „Ich glaube, wenn wir nicht getan hätten, was wir getan haben, dann hätte es einen verheerenden Bürgerkrieg gegeben, es hätte uns gehen können wie Syrien.“ Beide gemeinsam bekamen für ihr geschichtlich beispielhafte Zusammenwirken den Friedensnobelpreis.

Gegensätzliche Tandems wie de Klerk und Mandela hat es immer mal gegeben. Henry Kissinger und Le Duc Tho bekamen 1973 den Friedensnobelpreis für die Beendigung des Vietnam-Krieges. Le Duc Tho lehnte ihn ab, Kissinger nicht. Sogar ein Trio aus Yasser Arafat, Shimon Peres und Yitzak Rabin wurde für den Osloer Friedensprozess im Jahr 1994 ausgezeichnet. Darauf ruhte kein Segen.

Kissinger war als Nationaler Sicherheitsberater und Außenminister ungemein umstritten und ist es bis heute geblieben. Rabin brachte im Jahr nach dem Nobelpreis ein jüdischer Fanatiker um; der friedliche Ausgleich zwischen Israelis und Palästinensern ist knapp 30 Jahre nur noch ein Trugbild zum zynischen Gebrauch. Verglichen damit ist Südafrika passabel durch die Jahrzehnte seit der Aufhebung der schreienden Ungerechtigkeit namens Apartheid gekommen. Immerhin.

Aus dem Traum von dem Regenbogenland ist nicht so viel geworden, wie möglich war, schon wahr. Der ANC hält noch immer das Monopol aufs Regieren, hat sich aber um so ziemlich jede Glaubwürdigkeit gebracht. Die Arbeitslosigkeit in Südafrika ist unerträglich hoch, die Korruption auch. Die Pandemie quält das Land, wie es auch HIV/Aids tat. 8 Prozent der Bevölkerung ist weiß und zumeist privilegiert. Immerhin steht das Modell aus Demokratie und Parlamentarismus, das de Klerk und Mandela hinterließen, stabil da.

Vor ziemlich genau acht Jahren starb Nelson Mandela, der eine Vater der Nation. Heute folgte ihm Frederik Willem de Klerk, der andere Vater der Nation. Welch Glück für ein Land, wenn es zwei herausragende Menschen im vielleicht wichtigsten Augenblick seiner Existenz hat. 

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.