Warten auf den Todesstoß

Ja, nach der Wahl ist es so spannend geworden, wie wir es erwartet haben, aber die Spannung bleibt durchsetzt mit Mehltau. Wäre die CDU noch wenigstens eine kleine Machtmaschine, dann wäre Armin Laschet seit Sonntag Vergangenheit. Wahrscheinlich überlegt die Kamarilla um Jens Spahn angestrengt, wann der richtige Zeitpunkt gekommen sein könnte, um aus dem Busch zu springen, aber wer zu lange wartet, den bestraft das Leben.

Man muss sich gelegentlich etwas trauen, etwas wagen, selbst auf die Gefahr hin, dass es schief geht. Eigentlich kann es aber nur befreiend wirken, wenn jemand die erlösenden Worte spricht, und sei es auch nur Friedrich Merz. Es muss schon aus dem Zentrum kommen, Sachsen ist zu wenig.

Das stärkste Interesse an der möglichst langen Verweildauer von Armin Laschet in Berlin hat Olaf Scholz. Nur im Vergleich zu Laschet erscheint er als Inbegriff von Kompetenz und Seelenruhe. Ist Laschet weg, fehlt auch Scholz der geliehene Glanz.

Mich hat schon am Samstag irritiert, dass er die tonlose Nüchternheit in der Stimme behielt, die ihm eigen ist, anstatt zu sagen: Ja, 25 Prozent sind nicht toll, aber wenn man wie die SPD von unten kommt, ist es doch ziemlich viel, und damit bin ich der Wahlsieger, und die CDU, die von hoch oben nach tief gefallen ist, soll sich bitte mal zurückhalten. Mit einem Wort: Er hätte Grund gehabt, die Stimme zu heben, kraftvoll aufzutreten, immer mit Demut, aber auch mit dem Selbstbewusstsein des Überraschungssiegers. Statt dessen behält er diesen schmallippigen Hanseaten-Sound bei, der ausdrucksarm dahinströmt. 

Die Krux bleibt einfach, dass auch Scholz keiner ist, der etwas will, den eine Sache vorantreibt, der seinen Machtwillen mit einem Projekt verbindet, und sei es Ökologie mit Ökonomie zu versöhnen. Dieser Kanzlerkandidat ist dermaßen auf Konsens angelegt, dass er mit Saskia Eskens und Norbert Walter-Bojahns in Sondierungsgespräche zieht und Kevin Kühnert das Mikrophon überlässt, in das er jetzt pausenlos spricht.

Warum lässt sich Scholz darauf ein? Kann er nicht so, wie er will, oder will er nicht so, wie er können müsste?

Die stärksten Figuren gehören zu den zwei mittelstarken Parteien, auf die es jetzt ankommt. Christian Lindner sagt momentan viel Richtiges, will mitregieren und hat genaue Vorstellungen. Er hat an Ausstrahlung gewonnen und ist die stärkste intellektuelle Kraft in der Nachwahlzeit.

Ihm ebenbürtig ist Robert Habeck, dem gut getan hat, dass er Annalena Baerbock den Vortritt lassen musste. Jetzt muss sie ihm den Vortritt lassen. Erfahrung in der Politik ist eben unersetzlich, und sei es die Erfahrung aus Koalitionsverhandlungen.

Laschet ist im Grunde nur noch ein Phantom. Scholz fesselt sich selber, um die SPD zu kalmieren. Am Ende wird Scholz Kanzler und Laschet bleibt nichts in Berlin und nichts in Düsseldorf. 

Lindner und Habeck aber sollten es nicht allzu schwer haben zu unterscheiden, was sie gemeinsam haben und was sie trennt, wobei das Trennende eingehegt werden muss. Lindner muss Flexibilität beweisen und seinen Lieblingskoalitionspartner Laschet aufgeben. Das wäre der Todesstoß, zu dem Jens Spahn nicht imstande zu sein scheint. Die Grünen ziehen eh die SPD vor.

Und beim Regieren wird es dann darauf ankommen, dass Lindner und Habeck die Erneuerung des Landes vorantreiben, die unumgänglich ist,  und damit auch den Kanzler Scholz, der seinem Habitus nicht entfliehen kann.

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.