Markus Söder hat mal wieder etwas Interessantes gesagt, das wir beachten sollten. Er sagte, er halte Grün-Schwarz für falsch, denn „als Juniorpartner der Grünen in eine Regierung einzutreten, würde der Union auf Dauer fundamentalen Schaden zufügen.“
Wo er Recht hat, hat er Recht. Versteht sich eigentlich von selber für die Union, die es immer so gehalten hat. Macht verloren, ab in die Opposition. Diesmal aber könnte es anders kommen, geht dem Söder Markus offenbar durch den Kopf und deshalb sagt er schon jetzt, dass sich die Union den Grünen unterwerfen darf.
Aber aus welchem Grund zieht er heute schon die rote Linie?
Dafür gibt es drei Erklärungen. Erklärung Nummer 1: Söder gibt die Wahl verloren, weil der Wechselwunsch so groß ausfällt, dass die Aufholjagd der Union scheitern wird. Damit es auf sie ankommt, müsste sie bei rund 40 Prozent landen, so dass sie mit der FDP regieren kann. An die 40 glaubt er nicht, glauben wir nicht.
Erklärung Nummer 2: Söder hält Armin Laschet für untauglich und erinnert zum soundsovielten Mal daran, dass er der Kandidat mit der Schlagkraft gewesen wäre, die dem anderen abgeht. Aber die 40 liegt auch außerhalb seiner Reichweite.
Erklärung Nummer 3: Söder, ein großer Rechthaber, will am 26. September sagen können, er habe die Zeichen an der Wand schon Monate vor der Wahl erkannt.
Natürlich geht in der Union die Angst um, dass auf Angela Merkel nicht ein Mann folgt, sondern eine Frau. Natürlich sehen die Meinungsumfragen momentan übel aus, aber normalerweise gibt das kein Polit-Profi unverblümt zu. Söder hätte sagen können: ist noch lange hin, schau mer mal, was passiert. Aus Erfahrung könnte er wissen, dass derjenige, der heute im Sonnenglast erstrahlt, morgen im Schatten verkümmern kann. Wem käme da nicht Martin Schulz in den Sinn?
Etwas mehr als vier Monate noch. Die Grünen liegen vorne. Warum? Weil die Regierung in einer entscheidenden Phase der Pandemie fahrig und glücklos handelte. Nun aber fällt die Inzidenz. Sie fällt, falls Karl Lauterbach, unsere Kassandra, wiederum richtig liegt, bis Mitte Juni unter 50. Stand heute sind 33 Millionen Deutsche geimpft, davon 11 Millionen zweimal. Die dritte Welle ist wohl gebrochen.
Es geht voran, es wird besser. Es gibt Grund zur Zuversicht. Es darf geplant werden: runde Geburtstage, Konzerte, Theater, Familientreffen, Reisen. Wir sind im Freien zurück. Die Regierung, die einiges versiebte, hat jetzt einiges richtig gemacht.
Mit den Lockerungen dürfte sich die Stimmung bessern. Mit der Rückkehr zum einem gewissen Maß an Normalität sollten sich die Gemüter entspannen. Die Meinungsumfragen sind ja auch ein Akt der Rache der Bürger an der Regierung. Deshalb fiel die Union ins Bodenlose und die Grünen erklommen ungeahnte Höhen. Manches wird sich wieder einrenken. Dann sollten die Grünen abnehmen, die Union zunehmen.
Eines aber wird sich wohl kaum bis zum 26. September verändern: Diese Grundstimmung, dass es Zeit für einen Wechsel ist. Die Wahl ist wirklich eine Richtungswahl.
Nicht auf die Union kommt es am 26. September an. und diese Einsicht fällt Markus Söder ungeheuer schwer. Auf die Grünen kommt es an. Selbst wenn sie weniger Prozente als die Union bekommen sollten, werden sie die Königsmacher sein. Auch dann können sie sich eine Koalition aussuchen: mit SPD und FDP oder mit der Union, je nach Lage der Dinge.
Deshalb werden die Grünen zwangsläufig im Zentrum des Wahlkampfes stehen. Das ist gut so, denn was sie wollen und was sie können, sollten die Wähler wissen. Und jedes Wort, das Annalena Baerbock oder Robert Habeck, Anton Hofreiter oder Boris Palmer von sich geben, wird auf die Goldwaage gelegt.
Bisher gab es nur Geplänkel, es ist ja noch lange hin. Dass einigen Grünen der hintersinnige Wahlkampf-Slogan „Deutschland. Alles ist drin“ missfällt, so dass sie „Deutschland“ daraus streichen wollen, ist kurios. Der halbherzige Versuch, den Grünen daraus einen Strick zu drehen, versandete allerdings. Das eilfertig ausgegrabene Habeck-Zitat, „Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen“, stammt aus einem Buch, geschrieben im Jahr 2010, in dem er einen linken Patriotismus zu definieren suchte.
Erstaunlicherweise erzeugte ein schwerer Fehler, den Annalena Baerbock begangen hat, nur ein schwaches Echo. Sie hatte die Regel missachtet, wonach Kandidaten sich in komplexen Problemen niemals festlegen sollten. Es ging um das hoch umstrittene Projekt Nord Stream 2, von dem Baerbock meinte, ihm müsse „die politische Unterstützung entzogen“ werden. Ziemlich kühn, ziemlich fahrlässig, ziemlich überholt. Denn jetzt wissen wir, dass der US-Präsident Joe Biden seinen entschiedenen Widerstand gegen die Ostsee-Pipeline aufgegeben hat. Deshalb kann das Projekt zu Ende gebaut werden, wenn auch gegen den Widerstand Polens und der baltischen Staaten.
Es kann passieren, dass Annalena Baerbock als Kanzlerin, so sie es denn wird, vollziehen muss, was sie für falsch hält. Eine Lektion in Sachen Wahlkampf und Realpolitik. Bald schon werden solche Anfängerfehler härter bestraft werden.
In vier Monaten kann sehr viel passieren, kann sich einiges ändern, zum Besseren wie zum Schlechteren. Die Union sucht noch nach dem angemessenen Wahlkampfmodus. Findet Armin Laschet seinen Ton, vergisst Markus Söder seinen Phantomschmerz und lassen wir die Pandemie ganz hinter uns, dann kann es ein richtig interessanter, dramatischer Wahlkampf werden, in dem die großen Probleme des Landes verhandelt werden.
Verdient haben wir ihn.
Veröffentlicht auf t-online.de, heute.