Das wird wieder nichts, wie schade, wie absehbar

Momentan spielt sich die Politik in Amerika auf drei Ebenen statt, die natürlich miteinander verbunden sind. Da ist der neue Präsident, der im Akkord Direktiven unterschreibt, welche die Direktiven seines Vorgängers außer kraft setzen. Erstaunlich, wie geschmeidig der Apparat gleich nach der Vereidigung Joe Bidens angesprungen ist.

Auf der zweiten Ebene schwärmen FBI-Agenten aus und verhaften Tag für Tag Leute, die sich beim Aufruhr im Capitol selber filmten oder gefilmt wurden, als hätten sie nichts zu befürchten. Es war wie beim Lynchen in früheren Tagen, als die Mörder ebenso wie der skandierende Mob sicher sein konnten, dass weder die Polizei noch das FBI und schon gar nicht ein Richter sie je zur Rechenschaft ziehen würden. Auch Trumps Sturmtruppen fühlten sich unverwundbar beim Verwüsten im Kapitol, mit dem Präsidenten als Schutzherrn und Anführer in einem.

Jetzt ist der Mann mit den Hörnern genauso in Untersuchungshaft wie der Typ mit dem Camp-Auschwitz T-Shirt oder der Mann mit den Stiefeln auf Nancy Pelosis Schreibtisch. Und die Proud Boys und Three Percent und wie diese Fascho-Gruppen auch heißen mögen, sind enttäuscht von ihrem Führer, der jetzt so tut, als hätte er mit ihnen nichts am Hut, rein gar nichts. Eine hübsche Pointe nach bitteren Tagen.

Auf der dritten Ebene findet ein Verfahren statt, das Donald Trump zur historischen Figur erheben wird, egal wie es ausgeht: das Impeachment für einen Präsidenten, der nicht mehr Präsident ist. Davon werden die Geschichtsbücher erzählen, keine Frage.

Morgen wird der Senat zu einer speziellen Sitzung einberufen. Der Vorsitzende Richter im Obersten Gericht vereidigt die 50 Republikaner und die 50 Demokraten, denn der Senat verwandelt sich im Amtsenthebungsverfahren in ein Gericht, das dann über die Anstiftung zum Aufruhr urteilen wird. 

Natürlich ist das ein politischer Prozess, der am 9. Februar beginnen wird. Die entscheidende Frage ist, ob 17 republikanische Senatoren mit den Demokraten gemeinsame Sache machen und Trump sozusagen posthum verurteilen. Die 67 ist die entscheidende Zahl, denn nur mit Zweidrittel-Mehrheit kommt es zur Verurteilung. Ein Schuldspruch würde bedeuten, dass Donald E. Trump kein öffentliches Amt mehr anstreben darf. Amerika hätte Trump so weit los, wie Amerika ihn los haben kann.

Präsdent Joseph Robinette Biden Junior sagt öffentlich kein Wort über Trump oder das Impeachment. Anderes hat er zu tun. Um das Wesentliche, zum Beispiel die Pandemie, kümmert er sich und hofft ansonsten darauf, dass seine Minister und Mitarbeiter möglichst schnell vom Senat bestätigt werden. Arbeit ist seine Devise. Tun ist für ihn wichtiger als Reden, das ohnehin nicht seine Stärke ist.

Das Impeachment ist nicht Bidens Erfindung. Niemand weiß, ob er dazu ermunterte oder davor warnte. Ob er es für moralisch nötig erachtet, aber für einen politischen Fehler hält. Das Urteil hat ja Rückwirkungen auf ihn. Gelingen nützt ihm, na klar. Scheitern schadet ihm, was sonst. Da Scheitern wahrscheinlicher ist als Gelingen, hält sich Biden dem Impeachment fern.

Die Demokraten haben es ja schon einmal versucht. Vor einem Jahr war das Unterfangen von Anfang an aussichtslos. Keiner der republikanischen Senatoren erweckte auch nur den Anschein, dass er für das Impeachment stimmen würde. Sie blockierten und hintertrieben das Verfahren. Sie machten sich lustig darüber. Sie demütigten die Demokraten.

Niederlagen schwächen. Niederlagen mit Ansage noch mehr. Die moralische Empörung über den amoralischen Präsidenten war zwar verständlich, wer hätte sich nicht empört. Aber kalte Machtpolitik ist manchmal besser als ein heißes Herz.

Diesmal ist die Aussicht auf Erfolg prinzipiell günstiger. Der 6. Januar veränderte viel. Der Sturm aufs Kapitol mit fünf Toten war eine nationale Katastrophe, angestachelt von Trump und belobigt von ihm („We love you, you are very special“), bevor ihn seine Anwälte zur Vernunft brachten und ihm aufschrieben, dass er nicht gut fand, was sich da im Heiligtum der amerikanischen Republik ereignete, ohne sein Zutun, selbstverständlich. 

Etliche Republikaner wandten sich seither von Trump ab. Aber sind es genug? Und machen sie auch, wovon sie laut und leise reden? Klappt das Impeachment diesmal?

Gehen wir mal die Möglichkeiten durch:

  1. Es finden sich 17 Republikaner im Senat für das Impeachment. Dann darf Donald Trump nie mehr ein öffentliches Amt anstreben. Seine Schuld am Sturm aufs Kapitol ist ein für allemal in Stein gemeißelt. Die Demokraten erleben die größtmögliche Genugtuung für vier Jahre der Verachtung und Demütigung. Präsident Biden segelt auf einer Erfolgswelle.
  1. Es finden sich einige Republikaner, aber nicht genügend, nicht 17. Der zweite Versuch, mit Trump abzurechnen, ist allenfalls ein Achtungserfolg, mehr aber nicht. Die Demokraten gehen in die Geschichte ein und zwar als die Partei, die einen Präsidenten zweimal vergeblich amtsentheben wollten. Trump und die Trumpisten frohlocken. Fox News schüttet ganze Kübel Hohn aus.
  2. Wieder findet sich nur ein einziger Republikaner, Mitt Romney, der für die Amtsenthebung stimmt. In der demokratischen Partei beginnt eine Auseinandersetzung darüber, wer eigentlich Nancy Pelosi dazu angetrieben hat, zweimal auf gut Glück gegen Trump vorzugehen, ohne Aussicht auf Mehrheit im Senat. Präsident Biden muss sich rechtfertigen, warum er dem Verhängnis freien Lauf ließ, anstatt einzugreifen. Führungsschwäche ist der Vorwurf, der ihm anhaftet.

Ich tippe auf die zweite Möglichkeit: einige, aber zu wenige republikanische Senatoren machen mit. Mitt Romney hat schon angekündigt, er werde pro Impeachment stimmen. Mario Rubio nennt das ganze Verfahren bescheuert („stupid“) und verlangt, dass der neue Präsident den alten begnadigt, genauso wie Richard Nixon begnadigt wurde. Einige andere halten es für verfassungswidrig, Trump im Nachhinein seines Amtes zu entheben, unabhängig von der Verantwortung für den 6. Januar.

Besonders interessant verhält sich der republikanische Anführer im Senat, Mitch McConnell, der kälteste Machtpolitiker, den ich kenne. Seit dem 6. Januar rückt er von sich selber ab – er, der Trump Gefolgschaft leistete, über die Lüge von der gelinkten Wahl hinweg. Jetzt tut er geradewegs so, als könnte er mit den Demokraten stimmen, was wirklich eine Sensation wäre, also nicht eintreten wird. Gegen seine Gewohnheit gibt er seinen Kollegen diesmal keine Anweisung, wie sie abstimmen sollen: Das Impeachment sei eine Gewissensentscheidung, sagt er.

Klingt gut, aber auch tückisch: Jeder Senator ist persönlich verantwortlich und muss in seinem Heimatstaat Rechenschaft ablegen. Die Trumpisten kündigen Abtrünnigen schon heute Rache an, spätestens bei der nächsten Senatswahl in zwei Jahren. Für jeden republikanischen Senatoren geht es um Risikoabwägung, nicht um Moral. Für Unsicherheit sorgt, dass niemand genau weiß, wer in der Partei die Oberhand hat, die Trumpisten oder die Traditionalisten. 

Die republikanischen Senatoren sind unsichere Kantonisten. Deshalb dürften die Demokraten auch diesmal  an den Mehrheitsverhältnissen scheitern. Vermutlich haben sie sogar damit gerechnet, es aber trotzdem versucht, aus moralischen Gründen. Manchmal aber kann das moralisch Richtige politisch problematisch sein. Mal schauen, welche Folgen sich ergeben.

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.