Eigentlich wollte ich nie wieder über den Fußballbundestrainer schreiben. Eigentlich ist alles gesagt, inklusive der Unfähigkeit des Deutschen Fußballverbandes, ihn los zu werden oder wenigstens darauf zu verpflichten, nach der Europameisterschaft zurück zu treten. Dieser Mann ist dermaßen wirklichkeitsfern, dass er sich nicht einmal darauf einzulassen gedenkt.
Wer berät Jogi Löw? Wem hört er zu? Was ist mit ihm passiert? Seit wann ist das Weinerliche in dieses Stoische umgeschlagen? Wie kommt jemand dazu, nur immer den Weltmeister in sich zu sehen, egal wie die Spiele ausgehen?
In meiner Kindheit habe ich schon mal so etwas erlebt, ich meine natürlich: in meiner Fußballkindheit. Der Bundestrainer hieß Sepp Herberger und war ein Philosoph, wie ihn nur der Fußball hervorbringt. Von ihm stammen tiefgründigen Sätze wie: Der Ball ist rund, das Spiel dauert 90 Minuten und das nächste Spiel ist immer das schwerste, und die Leute gehen ins Stadion, weil sie nicht wissen, wie das Spiel ausgeht.
Herberger ist unsterblich, weil seine Mannschaft im Jahr 1954 Weltmeister wurde. Schon in der Vorrunde (es gab 16 Mannschaften, wie gut!) spielte Deutschland gegen Ungarn und verlor 3:8. Katastrophe! Mindestens so schlimm wie das 0:6 gegen Spanien heute! Ungarn war die Übermannschaft, die goldene Elf. Gyula Grosicś, der Torwart, erzählte später, dass eine Abordnung der KP ins Trainingslager gekommen war, die Spieler zusammenrief und sie beruhigte, dass sie keine Konsequenzen befürchten müssten, falls sie das Turnier nicht gewännen. Da wussten wir, sagte der Torwart, was uns bevorstand, als wir das Endspiel verloren.
Herberger war ein Fuchs. Er wiegte die Ungarn in Siegessicherheit. Auf den Platz schickte er eine B-Mannschaft, die folgerichtig auseinandergenommen wurde. Im zweiten Spiel gewann Ungarn gegen Südkorea mit 9:0. Deutschland schlug die Türkei 4:1. Da der Modus damals nur jeweils zwei Spiele für jede Mannschaft in der Vorrunde in den Vierer-Gruppen vorsah, musste Deutschland noch einmal gegen die punktgleiche Türkei antreten und gewann 7:2.
Im Viertelfinale gewann Deutschland gegen das starke Jugoslawien 2:0, im Halbfinale 6:1 gegen die mindestens genauso starken Österreicher. Dann das 3:2 gegen Ungarn mit der A-Mannschaft. Die Sensation. Dieses Glück. König Herberger. Alles richtig gemacht.
Vier Jahre später machte er noch einmal alles richtig. Fritz Walter war 38, kapp doppelt so alt wie Uwe Seeler, der Jungstar. Dann ein Heimschiedsrichter (dies ist eine subjektive Einschätzung), der Schweden beim 3:1 zur Seite steht. Wir werden Vierter. Und wieder hatte Sepp Herberger alles richtig gemacht.
Dann Chile 1962. Deutschland scheidet im Viertelfinale gegen Jugoslawien aus. Herberger wird abgelöst. Er wehrt sich. Er will nicht. Er ist wie Adenauer, alt und störrisch. Er ist der Jogi Löw jener Tage: Ich habe aber doch meine Verdienste! Ich will bleiben! Ich erreiche die Mannschaft! Ich brenne noch!
Gute Spieler gibt es immer. Aber das Glück ist eine knappe Resource. Verdienste zählen, sind aber keine Ausrede. Die innere Kraft reicht eine Weile, kleckert dahin, versiegt irgendwann, was niemand gerne wahrhaben will. Wahrscheinlich ist die Einsicht in das Notwendigste das Schwerste überhaupt.
Bei Herberger war 1954 der Höhepunkt, der 1958 fast wiederholt worden wäre und Chile die große Enttäuschung. Bei Löw ging es gut los, 2014 war der Höhepunkt, musste es aber auch sein, nach jahrelangem Anlauf. Seither geht es bergab. Obwohl es gute Spieler gibt. Junge und alte. Auf die Mischung kommt es an. Auf die Phantasie und die Intuition. Auf das vergängliche Glück. Diesem Trainer aber ist die innere Kraft ausgegangen, von der alles andere abhängt. Dieser Umstand erklärt seine Sonderlichkeit, seine Weltabgewandtheit.
Damals bei Herberger handelten die Verantwortlichen. Sie konnten es, weil der Nachfolger bereit stand. Er hieß Helmut Schön und blieb es 14 Jahre lang. Diesmal fehlt der gottgegebene Nachfolger. Ich wette, der DFB hätte niemals den Mut gehabt, Hansi Flick eine Chance zu geben. Ich weiß nicht, ob Gespräche mit Ralf Rangnick statt fanden; vielleicht fragt einer mal bei ihm nach.
Also müssen wir mit der Pilzfrisur leben, dem Stoiker, dem Schweiger. Wir trauen ihm nichts mehr zu, wir wollen aber auch nicht schon wieder ein trostloses Turnier über uns ergehen lassen. Also wäre es schön, wenn die Mannschaft die Sache in die Hand nähme, so wie Beckenbauer et altera in der Spätphase Schön.