Kronzeuge gegen die AfD

Auf dem AfD-Parteitag fiel ein Wort, das ich viele Jahre lang vermissen durfte. Bisher dachte ich, es sei ein Monopol der Linken, die sich mit diesem Schimpfwort von je her frenetisch überzog. Als Leute wie Jürgen Trittin noch in linken Splittergruppenvon von der Revolution träumten, als sich Maoisten mit Stalinisten bis aufs Messer um die reine Lehre stritten, da spieen sie es so verächtlich aus, wie es einige AfDler am Wochenende ausspieen.

Das ominöse Wort heißt: spalterisch. Ästhetisch gesehen ist es eher eine Peinlichkeit. Weder spricht es sich flüssig aus noch wird es jenseits des Politischen benutzt. Aber so, wie Alexander Gauland und die anderen das Wort ins Mikrophon spuckten, im Ton höchster Verachtung, war es mit Wut aufgeladen und der nächste Schritt müsste konsequenterweise körperliche Gewalt sein.

Die Tiraden galten Jörg Meuthen, der ja kein Sonderling oder notorischer Aufrührer ist, sondern eher das Gegenteil, ein bürgerlicher Rechter mit anständigem Beruf und unhetzerischer Rhetorik. Er ist auch kein Außenseiter, vielmehr ist er einer von zwei Vorsitzenden dieser Partei. Richtig am Vorwurf ist allerdings, dass er seit einiger Zeit die AfD neu ordnen will, wobei er ein Intimfeind der völkischen Rechten ist, die in Björn Höcke ihren Propheten verehrt.

Man kann sich darüber streiten, wie viel Erfolg Meuthen beschieden ist. Nun gut, offiziell löste sich der „Flügel“ (auch so ein komisches Wort) auf, aber natürlich existiert er weiterhin, weil ja nun einmal Höcke & Co noch da sind und ungebrochen Einfluss ausüben, wie sich in Kalkar zeigte. Stimmt schon, Andreas Kalbitz ist aus der AfD ausgeschlossen worden, doch was soll’s, Tino Chrupalla etwa, Meuthens Co-Vorsitzender, unterscheidet sich nur unwesentlich vom abgespaltenen Kalbitz.

Ironischerweise müssen wir Meuthen Glück wünschen beim Versuch, Ballast abzuwerfen. Ihm schwebt anscheinend eine rechte CDU vor, die dann eines Tages mit der richtigen CDU eine Koalitionsregierung eingehen könnte. Ganz rechts bliebe somit ein völkischer Landsknechtshaufen übrig, der auf dem Kyffhäuser von der konservativen Revolution träumen dürfte.

Alexander Gauland hat auch mal so angefangen wie Jörg Meuthen. Aus der CDU ausgetreten, wollte er sie von rechts aufmischen. Seine AfD trug anfangs die Insignien der früheren CDU: national, weiß, deutsch, schwarzrotgolden die Seele. Irgendwie muss den Melancholiker aber der Altersradikalismus überkommen sein, so dass er die Orientierung verlor. So ergeht es Menschen, die Zeitlebens im Hintergrund blieben und dann plötzlich zu umjubelten Anführern aufsteigen. Weil Meuthen ihn an seinen Ursprung erinnert, geht Gauland besonders ehrabschneiderisch mit ihm um.

Die Rede in Kalkar lässt sich als Zwiegespräch zwischen Meuthen und Gauland zu verstehen. Meuthen mokiert sich über den Bismarckkult, den Gauland zelebriert. Meuthen hält es für völlig unangemessen, dass im Bundestag von der „Corona-Diktatur“ herum schwadroniert wird, und meint auch Gauland damit, wobei der Parteitag in Kalkar als Dementi gegen die blödsinnige Polemik dient. 

Von jetzt an dürfen wir Meuthen als Kronzeugen seine eigene Partei zitieren. Er polemisiert gegen die Vorliebe für durchgeknallte Querdenker, „deren skurrile, zum Teil auch offen systemfeindlichen Positionen und Ansichten den Verdacht nahelegen, dass bei ihnen noch nicht einmal das Geradeausdenken richtig funktioniert, geschweige denn echtes Querdenken“. Gut gebrüllt, oder? 

Oder die Rüge für AfD-Bundestagsabgeordnete, die das Infektionsschutzgesetz mit Hitlers Ermächtigungsgesetz verglichen hatten. Meuthen fragt, ganz Staatsmann, ob sich solche Vergleiche wegen „der allgemein bekannten Monstrosität und in dieser Dimension auch Singularität der Nazi-Barbarei nicht selbst verbieten?“ Gauland nannte die 12 Jahre Hitler bekanntlich einen „Fliegenschiss“ in der deutschen Geschichte. 

In Kalkar beschloss Meuthen seine Rede mit dieser Alternative: „Entweder wir kriegen hier die Kurve, und zwar sehr entschlossen und sehr bald, oder wir werden als Partei in keineswegs ferner Zukunft ein grandioses Scheitern erleben:“

Ja, da will jemand eine andere Partei, als die AfD geworden ist. Jörg Meuthen möchte das Bürgerliche retten und das Völkische ausscheiden. Die Lämmer von den Wölfen trennen, so sieht er das. Das CDU-hafte von den Systemsprengern. Der Vorwurf, Meuthen sei spalterisch, trifft schon zu, jedenfalls dann, wenn man Gauland, Höcke oder Chrupalla heißt.

So wie es aussieht, steht Meuthen zwar nicht allein, hat aber keine Mehrheit hinter sich. Vielleicht ändert sich das. Seine Gegner laufen der Querdenker-Bewegung hinterher und öffnen ihnen Tor und Tür. Die Quittung ist das Absinken der AfD bundesweit auf 7 Prozent. Darüber dürften einige unsichere Gemüter ins Grübeln geraten.

Die Rechte jenseits von CDU und CSU hat sich schon früher am liebsten selber zerlegt. Wäre ganz schön, wenn die AfD dieser Tradition treu bliebe.

Die Rechte jenseits von CDU und CSU hat sich schon früher am liebsten selber zerlegt. Wäre ganz schön, wenn die AfD dieser Tradition treu bliebe.

Veröffentlicht auf t-online, heute.