Der Held der Stunde

Marcus Rashford ist mir nie besonders aufgefallen. Guter Spieler, jung, mal auf dem Flügel, mal im Zentrum. Spielt in Ansätzen wie Thierry Henry früher. Gab keinen Grund, ihn größer zu beachten.

Jetzt habe ich Hochachtung vor ihm. Vor dem Menschen. Vor dem Spieler mit seinem sozialen Engagement. Vor seiner Ernsthaftigkeit und seinem Geschick, die Öffentlichkeit für gesellschaftliche Probleme zu gewinnen, die Boris Johnson und seiner Regierung gleichgültig sind.

Ich weiß jetzt, dass Marcus Rashford in erbärmlichen Verhältnissen aufgewachsen ist und es nicht vergessen hat. Mit seiner Mutter pilgerte er zur Weihnachtszeit im vorigen Jahr durch Obdachlosenasyle und Kinderheime und brachte jedem was mit. Als die Pandemie im März ausbrach, tat er sich mit der Organisation FareShare zusammen und sammelte bis heute rund 20 Millionen Pfand an Spenden für 4 Millionen Hungernde ein. Er brachte Restaurants, Supermärkte und Cafés dazu, Schülerinnen und Schülern Mahlzeiten gratis zu geben, als die Regierung freies Schulessen während der Ferien aussetzte. Mehr noch, er schrieb einen offenen Brief an Boris Johnson und forderte ihn auf, den Kindern aus einkommensschwachen Verhältnissen auch in den Ferien staatlich finanziertes Essen zukommen zu lassen. Der Premier, dem so ziemlich alles egal ist, außer schlechter Presse, bog bei. Das Gleiche geschah jetzt, als das Programm auslief, und wiederum musst Johnson nachgeben. Marcus Rashford ist Englands Held der Stunde. Weil er was macht, was nicht selbstverständlich ist, weil er einen Sinn für das Richtige besitzt. Die Königin ehrte ihn Mitte Oktober mit dem MBE: Member of the British Empire.

Rashford ist ein Profi. Er ist gerade 23 Jahre alt geworden. Normalerweise fangen Spieler in dieser Phase damit an, größere Autos zu bestellen, das Unterwäschenmodell auszutauschen und den Berater zu wechseln, der noch mehr Geld für sie herausschinden soll. Rashford ist die Ausnahme in diesem urkapitalistischen Wirtschaftszweig und ich finde ihn großartig. Vielleicht findet er Nachahmer auch hier in Deutschland, wäre großartig. Hummels traue ich zu, dass er zur Kenntnis genommen hat, was Rashford leistet, Kimmich und Goretzka auch. Ich bin gespannt, ob einer von ihnen Konsequenzen für sich zieht.

Da tut ein Fußballspieler in England aus eigenem Antrieb etwas für das Allgemeinwohl, weil er weiß, was es heißt, arm und hungrig zu sein. Ist das nicht wunderbar?