Als der BVB den letzten Titel holte

Heute habe ich mir auf YouTube noch mal die Tore angeschaut, die damals im Pokalhalbfinale in München fielen, als der BVB 3:2 gewann. Ich war mit meinem Sohn Jonathan im Stadion, der viel von der Psychologie versteht, die im Fußball vorherrscht.

Es stand 2:1 für Bayern. Bayern war in dieser Phase haushoch überlegen. Der BVB verlor im Mittelfeld reihenweise den Ball, bekam wenig zustande. Chance auf Chance häufte sich. Dann kam die berühmte Szene: Bürki macht Bockmist, das Tor ist leer, Robben schießt und auf der Linie macht Sven Bender ein langes, langes Bein und lenkt den Ball an den Pfosten.

In diesem Augenblick sagte mein schlauer Sohn Jonathan: Jetzt gewinnt Dortmund! Er sagte es mit großer Überzeugung, als verstünde es sich von selber. Er las das Spiel richtig. Bayern hatte sich fusselig gespielt, brachte das 3:1 nicht hin, erlahmte allmählich, fühlte sich sicher und Dortmund schöpfte neue Kraft aus dem seltsamen Versagen des Schussglücks.

Der Trainer des BVB hieß Thomas Tuchel. Er verstärkte das Mittelfeld, indem er Erik Turm als Weberschiffchen einsetzte. Guerrero machte ein phantastisches Spiel. Bis zur 60. Minute war Dembele grottenschlecht, lief alibimäßig nach hinten mit, leistete sich Fehlpässe im Mittelfeld. Lucien Favre hätte ihn ausgewechselt.

Tuchel ließ Dembele weiterspielen und wartete auf dessen Geniestreiche. Der kam in Form einer herrlich hohen Flanke vom Strafraum rechts auf den langen Pfosten zwei Meter vor dem Tor. Aubameyang rauschte heran und köpfte ins hohe linke Eck. 2:2.

Von nun an war es herrlich anzusehen, wie Reuss/Aubameyang/Dembele losjagten, sobald ein Mitspieler den Ball bekam. Sie vertändelten nun ihrerseits Chancen, trugen Angriffe schlampig vor, blieben hängen. Auch der Angriff zum 3:2 wäre fast schief gegangen, Reuss verhaspelte sich, schob aber im letzten Moment den Ball nach rechts zu Dembele, der sich den Ball mit einem Schlenker den Ball auf den linken Fuß legte und ins Netzt jagte.

Der Rest war einfach und unspektakulär. 2:1 gegen die Frankfurter Eintracht im Endspiel in Berlin. Pokalsieger.

Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Den letzten Titel für den BVB holte Thomas Tuchel. Keiner hatte es von ihm erwartet. Der BVB hatte Hummels und Gündogan und Mikhytarjan verkauft, die Achse der Mannschaft. Der Pokalsieg war einzig und allein Tuchels Verdienst. Er ließ sich was einfallen, er studierte den Gegner und stellte seine Mannschaft entsprechend auf und entsprechend ein.

Seither reden sie beim BVB darüber, ob sie darüber reden sollen: Dass sie einen Titel holen. Sie reden von Mentalität und Gier. Sie haben einen guten Trainer, der aber sämtliche entscheidende Spiele verliert. Und sie wollen nicht daran erinnert werden, wer den letzten Titel geholt.

Nach der Siegerehrung saß Achim Watzke ganz allein und versonnen oben auf der Tribüne und rauchte Zigarillo. Ich ging zu ihm hin und wünschte ihm Glück bei seiner Entscheidung. Größe hätte darin bestanden, Tuchel zu halten, so umstritten er intern auch war. Dass der einer der besten Trainer Europas ist, sagte sogar Watzke. Hätte Tuchel Bier getrunken und Skat gespielt – hätte er mit den hohen Herren fraternisiert, wäre alles gut gewesen. War es aber nicht. Tuchel fraternisierte nicht. Er zog Grenzen. Er machte Fehler, wie denn auch nicht. Aber erwarte der beste Trainer, den der BVB haben konnte.

Vorzügliche Leute hinterlassen Lücken, wenn sie gegangen werden, ist ja klar. Bosz/Stöger/Favre kamen nach Tuchel. Keiner konnte ihm das Wasser reichen. Er machte ein Jahr Pause, lernte Französisch und ging nach Paris. Mit seinem Klub dürfte er morgen ins Halbfinale der Champions League einziehen. Ich gönne es ihm. Der BVB: ausgeschieden gegen Tuchel im Achtelfinale. Klopps Liverpool ausgeschieden im Achtelfinale.

Was lernt uns das Pokalhalbfinale 2017? Die einen Trainer arbeiten bedingungslos für den Erfolg und reden nicht vom Tiel. Die anderen Trainer reden vom Titel, wie Favre auf Geheiß von Watzke, und scheitern an ihrer Phantasie oder ihrer Kaltblütigkeit oder an beidem.