Drei Kandidaten, drei Interviews

Momentan werden wir von einer Koalition gut regiert, die sich zwei Jahre lang mühsam dahingeschleppt hatte. Erst Corona machte daraus ein harmonisches, geschmeidiges Team, das Vertrauen erntet und in Umfragen belohnt wird, wenn auch einseitig. Dennoch ist es ein Auslaufmodell, im nächsten Jahr ist es vorbei. Die Kanzlerin geht, daran ist kein Zweifel. Aber wer kommt?

Drei der vier Unions-Bewerber gaben am Wochenende aufschlussreiche Interviews. Norbert Röttgen blieb stumm, niemand hat ihn gefragt, weil niemand ihn für eine ernsthafte Gefahr der drei hält. Er ist ein kluger Mann, der die Tendenz hat, Wahlen zu vergeigen. Seinen Anspruch meldet er an, damit er bei der Verteilung der Ämter bedacht wird.

T-Online interviewte am Samstag Armin Laschet. Laschet ist ein sympathischer Mensch, gebildet und freundlich. In der Corona-Krise fing er bedacht an, wie es seine Art ist, und wurde dann erstaunlich fahrig. Er machte sich zum Befürworter früher Lockerungen und ging damit ein hohes Risiko ein. Ich nehme mal an, seine Berater empfahlen ihm die liberale Haltung, für die es ja gute Gründe gab, vor allem wirtschaftliche und rechtsstaatliche. Es gab aber auch einen schlechten Grund – sich zum Gegenspieler des kompromisslosen Markus Söder aufzuschwingen. Die Industriefleischfabrik Tönnies verdarb Laschet das Konzept. Der Absturz in den Umfragen ist die Folge davon.

Nun bemüht sich Laschet darum, zurück in die Spur zu finden. Er ist in der Defensive. Wie kommt man da raus? Durch eine Ansammlung unanfechtbarer Sätze, etwa diesem Satz: „Das Beste für Nordrhein-Westfalen und die Menschen ist mein Ziel“ Ja, was denn sonst? Den verhauenen Satz, dass Bulgaren und Rumänen das Virus eingeschleppt hatten, will er einfach so stehen lassen, weil er unverteidigbar ist. Nur richtig, dass es ihm die beiden Fragesteller schwer machen.

Daneben stehen auch bedenkenswerte Sätze. Laschet sagt, die Grünen wirkten entpolitisiert. Da ist was dran, aber warum sollte eine Oppositionspartei, die vernünftig und moderat erscheinen möchte, ausgerechnet in dieser Phase zur Polarisierung übergehen?

Laschet ist Ministerpräsident des größten Landes, das ist ein Pfund. Bis zum Parteitag der CDU im Dezember ist es noch ein halbes Jahr hin, darin liegt ein Trost. Er wird ab jetzt Vorsicht walten lassen, denn noch ein Lockdown wie in und um Gütersloh oder noch ein, zwei problematische Bulgaren/Rumänen-Sätze und er bringt sich um alle Chancen. Über den Sommer wird er noch viele Ich-muss-heraus-aus-der-Defensive-Interviews geben.

Anders als Armin Laschet hat Markus Söder seine kompromisslos paternalistische Haltung seit Ausbruch der Krise nicht geändert. Anders als der Mann in Düsseldorf treibt der Mann in München auf einer Zustimmungswelle. Sein Problem ist nicht ein Spurwechsel, sondern die Ego-Kontrolle.

Markus Söder stand gestern dem Berliner „Tagesspiegel“ Rede und Antwort. Selbstbewusst. Siegessicher. Vorsichtig auch, denn seiner Neigung zum Vergaloppieren will er auf Teufel komm raus nicht nachkommen. Noch nicht. Also keine Ansprüche stellen. Sein Platz ist in Bayern, sagt er wieder und wieder, wenn er nach seinen Ambitionen gefragt wird. Natürlich hält er sich für Kanzlermaterial, das hängt schon mit der Schwäche der anderen Kandidaten zusammen. Söder geht nach dem Motto vor: Immer dran denken und nie davon reden.

Diese Einstellung spiegeln solche Sätze wieder: „Die Kernfrage der Union ist jetzt ausschließlich, wie wir diese große Krise bewältigen. Ich finde daher alle aktuellen taktischen Gedankenspiele unpassend.“ Gut gebrüllt, Löwe. Im Umkehrschluss hat der Kandidat die besten Chancen, der mit seiner Krisenbewältigung recht behält. Nach jetzigem Stand: Markus Söder. Und am jetzigen Stand dürfte sich länger nichts ändern.

In diesem Interview setzt Söder die Belobigung der Kanzlerin mit warmen Worten fort. Die 40 Prozent für die Union in den Umfragen? „Die jetzigen Werte sind allein der Bundeskanzlerin und ihrer klaren Strategie geschuldet.“ So macht man das – und schränkt zugleich das Ofensichtliche ein: „Das sind persönliche und keine Partei-Werte. Un ihre Zustimmung überträgt sich sicher nicht einfach auf andere.“ Klug gesagt. Perfekte Ego-Kontrolle.

Friedrich Merz hat es momentan am schwersten. Kein Amt, keine Entscheidungen. Ihm bleiben Rufe vom Rand ins Zentrum. Interviews sind eine Gelegenheit zu zeigen, wer er ist und was er will. So hält er es im Interview mit der „Augsburger Allgemeinen“, das ebenfalls gestern zu lesen stand.

Merz war lange raus aus der Politik. Viel Geld hat er in der freien Wirtschaft verdient. Na und? Das spricht nicht gegen ihn, finde ich. Darin liegt aber ein Problem, das er nicht los wird. Für die wiederkehrende Frage hat er sich jetzt einen Satz zurecht gelegt. Im Interview antwortete er so: Die Alternative zu seinem Erfolg in der freien Wirtschaft sei doch wohl nicht das Modell Kevin Kühnert – „ohne Ausbildung und Examen aus öffentlichen Kassen“ zu leben. Das nennt man Verteidigung auf schwachem Niveau, weil sich der ältere Herr Merz, 64, ausgerechnet an der Nachwuchshoffnung Kühnert, 31, misst.

Besser wirkt Merz, als er daran erinnert, dass zweimal CSU-Ministerpräsidenten als Unions-Kandidat antraten und zweimal verloren: Franz-Josef Strauß im Jahr 1980, Edmund Stoiber im Jahr 2003. Merz sagt auch, wie es jeweils dazu gekommen war: „Wenn die CDU mit ihrer eigenen Führung unzufrieden war.“

Das ist ein gutes Argument, aber zugleich ein Omen für 2021. Gut möglich, dass im nächsten Jahr weder Merz noch Laschet als überzeugende Anwärter auf die Kanzlerschaft angesehen werden – und schon fällt Söder die Kandidatur wie eine reife Frucht zu. Und womöglich widerfährt ihm nicht, was Strauß und Stoiber widerfahren war.

Einzig das Interview mit Merz verlässt die nationale Nabelschau und wendet sich der Weltpolitik zu, dem sich verschärfenden Gegensatz zwischen China und Amerika. Europa müsse, sagt er, auf Augenhöhe mit der alten und der neuen Weltmacht kommen. Wie das gehen soll, wie aus dem schwachen ein starkes Europa werden könnte: Diese Antwort bleibt er natürlich schuldig. Verbindliche Unverbindlichkeit ist Merz’ Stärke und Schwäche.

Dennoch zeichnet sich Merz unter den Kandidaten mit seinem weiten Horizont aus. Verliert er gegen Laschet oder Söder, könnte aus ihm der deutsche John Kerry werden, ein älterer, erfahrener Außenminister, auf den ein Kanzler bauen kann. Wäre doch was.

Die drei Interviews sind mehr als typische Sommerinterviews zur Überbrückung der politischen Pause. Sie stecken das Feld ziemlich genau ab. Da Corona bis zum CDU-Parteitag im Dezember das Land beherrschen wird, bestimmt Corona auch über die Thronfolge. Deshalb bleibt es die entscheidende Frage, ob Söder sein Ego kontrollieren kann, denn nur wenn er es nicht vermag, kommen Laschet und Merz ernsthaft aus der Defensive heraus.

Veröffentlicht auf t-online, heute