Ein Mensch, der Papst war

Jorge Mario Bergoglio, der sich Franziskus nannte, war ein Mensch in einer Organisation, die ohne Machtdenken, Zynismus und Kälte mehr als 2000 Jahre nicht überlebt hätte. Er verstand sich als Reformer seiner Kirche, das schon. Aber seine Ideen waren nicht die Ideen der Gralshüter des Bestehenden, seine Vorstellungen entsprachen nicht den Vorstellungen der Lordsiegelbewahrer der reinen Lehre.

Vielleicht muss man sich diesen Papst als einen Menschen vorstellen, der sich sein Seelenheil bewahrte, obwohl er ein Gefangener eines Systems war, das wenig Rücksicht auf Menschen nimmt und statt dessen die Organisation bedingungslos schützt. Öffnung in kleinem Maße, mehr Zugeständnisse gibt es nicht. Eucharistie für Geschiedene, okay. Zugehen auf LGBT auch, aber Vorsicht! Und Frauen als Priesterinnen kommen keinesfalls in Betracht.

In seiner letzten Zeit nahm entweder sein Elan ab, was man in diesem hohem Alter verstehen kann, oder er selber wurde konservativer. Der eigene synodale Weg der deutschen Katholiken fand jedenfalls sein Missfallen. Das galt sowohl für die systematische Untersuchung der Missbrauchsfälle in der Kirche als auch für die Verkündung des Evangeliums durch Laien.

In Dostojewskis „Brüder Karamasow“ steht die Legende vom Großinquisitor, einem steinalten Mann in Sevilla, der serienweise Ketzer auf den Scheiterhaufen werfen lässt. Eines schönen Tages erscheint Jesus Christus. Er geht tagsüber in den Straßen umher, wird erkannt, die Stadt ist in Aufruhr, der Gottessohn wandelt wieder auf Erden! Der Großinquisitor lässt ihn verhaften und hält ihm eine lange Predigt: Er habe es sich leicht gemacht, er habe an das Gute im Menschen appelliert, aber der Mensch sei nicht so stark und gut, wie Christus behauptet, er sei schwach, verlange nach Führung und Stärke. All das gibt ihm die Kirche, und sie nimmt ihm auch die Bürde des Selbstglaubens und der Selbstbestimmung ab. Sie sagt ihm,  wie er zu denken und zu handeln hat. Und diese Choreographie, diese eingespielte Ordnung bringt Christus fatal durcheinander und deshalb wird er am frühen Morgen auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden und das Volk wird ihm zujubeln – dem Großinquisitor.

Eine Kirche, die 2000 Jahre Bestand hat, lässt sich nicht von einem Papst, der noch so viel Energie für Veränderung aufbringen mag, die Ordnung dauerhaft stören, so viel ist klar. Johannes Paul II., der polnische Papst, lebte in vollem Einverständnis mit seiner konservativen Kirche. Karl Ratzinger, der sich Benedikt XVI. nannte, war der Intellektuelle auf dem Thron, der den Status quo theologisch aufs Feinsinnigste begründete.

Franziskus strahlte Freude aus, Heiterkeit. So weit ein Papst Spaß am Leben haben kann, schien er Spaß zu haben und im Einklang mit sich zu sein. So frohgemut trat er auf, wenn er den Segen urbi et orbi spendete. So jovial und frohsinnig gab er sich, wenn er Besucher und Besucherinnen empfing. Man stellte ihn sich gerne als jemanden vor, der liberaler dachte als seine Kirche, als einen Mann, der jedenfalls Großzügigkeit der Engherzigkeit vorzog. Ein Mensch eben im Papstornat.

Er nannte sich nach Franz von Assisi, den Sohn aus reichem Haus, der sein Erbe, sein Geld und seine Kleidung weggabund einen Orden gründete, der sich um die Armen kümmerte. Mit Vergleichen über mehr als 800 Jahre hinweg soll man vorsichtig sein, aber Jorge Mario Bergoglio bewegte sich ebenfalls erstaunlich lange in der diesseitigen Welt. Er übte triviale Berufe wie Türsteher und Hausmeister aus, ließ sich dann zum Chemietechniker ausbilden und arbeitete in einem Labor. Eine Krankheit, wie bei Franz von Assisi, löste eine innere Krise aus, die in eine fundamentale Lebensveränderung mündete. Als Folge trat er den Jesuiten bei und ließ sich 1969, da war er 33 Jahre alt, zum Priester weihen.

Wer in Zeiten der Militärdiktatur in Argentinien eine nicht ganz unbedeutende Stellung einnahm, konnte wohl gar nicht unschuldig bleiben. Daß Franziskus zwei Jesuiten, die er in die Armenviertel schickte, bald darauf den Schutz entzog, worauf die beiden von der Junta verhaftet und aufs Schlimmste gefoltert wurden, hing ihm an. Schlimmer noch: Er war Mitglied der „Eisernen Garde“, die für die Rückkehr von Juan Perón putschen wollte – für Perón, der eine Vorliebe für Hitler gehabt hatte und 1946 mit Unterstützung emigrierter Nazis erstmals Präsident geworden war.

Kein Ruhmesblatt. Verstörende Phasen in Franziskus` Biographie, die so gar nicht zum Bild des freundlichen, wohlwollenden, entspannten Papstes passen, der er sein wollte. Aber Menschen ändern sich ja, wenn sich die Zeiten ändern. Natürlich wüsste man gerne, wie Franziskus heute über sein Verhalten damals dachte, wozu die Ablehnung der Befreiungstheologie gehörte. Umgekehrt ist es mehr als fraglich, ob er Papst geworden wäre, wenn er ein entschiedener Gegner der Generäle und ein Befürworter der Befreiungstheologie gewesen wäre.

Zuerst und zuletzt war Franziskus eben ein Diener seiner Kirche, die er sich ein bisschen anders gewünscht hätte, eben menschlicher, mehr wollte er vielleicht gar nicht. Den Gott, von dem er sprach, stellte er als barmherzig vor, als nachsichtig, nicht eisern und unversöhnlich wie im Alten Testament. Ihm wollte er schlicht gegenübertreten – in einem einfachen Holzsarg anstelle von drei ineinander passenden Särgen aus Zypresse, Blei und Eiche. Seine letzte Ruhestätte, so wies er an, soll nicht in der Grotte unterhalb des Petersdoms liegen, sondern in der Basilika Santa Maria Maggiore.

Noch einmal segnete Franziskus am Ostersonntag die katholische Christenheit urbi et ora. Da wirkte er hinfällig, kein Wunder nach so langer Krankheit. Diesen Kraftakt verlangte er sich noch ab. Dann war es genug.

Als Franziskus der Tod nahe kam, hat er da auf einen verzeihenden Gott gehofft? Fast wünscht man es ihm, auch wenn die Hoffnung trügerisch gewesen sein sollte.

Veröffentlicht auf t-online.de, gestern.

Die illiberalen Supersnobs

Was geht in den USA unter Donald Trump vor sich? Wie nennt man dieses System, in dem der Präsident nach Lust und Laune, Belieben und Willkür sein Land umpflügt? Faschismus, na klar, sagt Timothy Snyder, der weltbekannte Historiker, der seine Professur in Yale, dem Himmelreich der Wissenschaften, gekündigt hat und nach Toronto umzieht, um dort in Kanada zu lehren.

Man könnte ausgiebig darüber diskutieren, ob Faschismus der richtige Begriff ist oder doch Paternalismus eher auf Trumps Gebaren zutrifft – wichtiger ist, dass eine Menge renommierter Wissenschaftler vieler Disziplinen neue Ufer suchen, ob in Kanada oder Singapur, in Deutschland oder Holland.

Früher war Amerika das Sehnsuchtsland ehrgeiziger Historiker, Biochemiker oder Astrophysiker. Jetzt fliehen sie in Scharen, weil es dem Präsidenten gefällt, die Universitäten zu gängeln und Projekte nicht länger zu fördern, die den Fortschritt nun eben anderswo erbringen müssen.

Amerika war seit dem Amtsantritt Trumps am 20. Januar in Schockstarre verfallen. Am vorigen Samstag demonstrierten zum ersten Mal landesweit Millionen Menschen, die Donald Trump und Elon Musk für ein Verhängnis halten, für reiche Dilettanten, für illiberale Supersnobs, die davon träumen, so zu herrschen wie Wladimir Putin oder Xi Jinping.

Es ist gut, dass Menschen auf die Straße gehen. Es ist so gut wie sicher, dass Trump sie Terroristen oder Verrückte nennen wird. Die Wirkung wird sein, dass der Hass zwischen Trumpisten und Anti-trumpisten wachsen wird. Nicht zufällig sagt Timothy Snyder, dass er einen Bürgerkrieg für möglich hält.

Mit seinem Freund-Feind-Denken findet der amerikanische Präsident einige Imitatoren in anderen Ländern. Benjamin Netanyahu schert sich seit Jahren nicht um den Protest gegen seine Selbstherrlichkeit. Zuerst gingen die Menschen gegen seine Justizreform auf die Straße, dann gegen den Krieg im Gaza, dann gegen seine Ignoranz gegenüber den Geiseln in Händen der Hamas, jetzt wieder gegen den Versuch, den Rechtsstaat unter seine Knute zu bringen.

Wer sollte ihm Einhalt gebieten? Donald Trump liefert schwere Waffen und träumt von der Vertreibung der Palästinenser aus dem Gaza, um dort ein zweites Atlantic City zu bauen. Die letzte Außenministerin, die Kritik auch am Vorgehen Israels im Westjordanland übte, ist am Ende ihrer Amtszeit angelangt: Annalena Baerbock.

Autokratische Herrscher bauen heute zuerst den Rechtsstaat um. Gewaltenteilung zwischen Legislative, Judikative und Exekutive ist aber das Kennzeichen von Demokratien. Wird sie aufgehoben, indem die Macht über das Recht gebietet, kommt die Demokratie nicht nur in Schieflache. Sie hört auf zu sein.

Recep Tayyip Erdogan schwang sich sich schon vor Jahren zum Alleinherrscher auf. Als er im März seinen einzigen ernsthaften Gegner Ekrem Imamoglu unter noch nicht einmal fadenscheinigen Vorwänden verhaften ließ, konnte man meinen, dass er diesmal zu weit gegangen ist. Die Demonstrationen erschienen machtvoll und für einen Moment flackerte Hoffnung auf Wandel auf. Wie es aussieht, ist dieser Moment wieder vorbei.

Iran kommt in den Sinn. Der Mut der Frauen, ohne Kopftuch in die Öffentlichkeit zu gehen. Die Rufe nächtens von den Dächern. Derzeit aber herrscht Friedhofsruhe. Oder Georgien: Die Jungen wollen Anschluss an Europa finden, die Alten halten sich an Russland, das dieses Land schon im Jahr 2008 militärisch daran erinnerte, nicht zu weit zu gehen. Oder Serbien: Studierende und Regierungsgegner protestieren seit vielen Wochen gegen Inkompetenz und Korruption unter Präsident Aleksandar Vučic. Selbst in Gaza flackerte Protest gegen die Hamas auf.

Autokraten leiden unter Selbstverdummung, weil sie sich nur mit Jasagern umgeben. Sei es durch überlanges Regieren, sei es durch verlorene Kriege oder durch andere schwerwiegende Fehler scheitern sie irgendwann, das lehrt die Erfahrung. So war es vor einigen Jahrzehnten in Spanien und Portugal, so war es in Brasilien oder Argentinien.

Die Absurdität von heute besteht darin, dass der Leuchtturm von Frieden und Freiheit, von Demokratie und Liberalität, der Amerika einmal war und vor allem sein wollte, zum Leuchtturm der Illiberalität und Antidemokratie zu werden scheint, der auch nach Europa ausstrahlt. 

Es ist noch nicht lange her, dass wir darüber sinniert haben, in welchem Zeitraum sich das kapitalistische China wenigstens in einen Rechtsstaat verwandeln würde und sei es auch bei gelenkter Demokratie. Statt dessen verhärtet sich China auf dem Weg zur Supermacht als Ein-Parteien-Diktatur mit einem Langzeitherrscher.

Die Ironie besteht darin, dass Donald Trump die Alleinherrscher in Russland und China beneidet und ihnen nacheifert. Deshalb wird China nicht wie Amerika, sondern Amerika will sein wie China.

Die freiheitlichen Strömungen, egal ob in der Türkei, in Georgien oder den USA, sind nicht stark genug, die Autokraten zu gefährden. Noch nicht. Dass sie nicht nachlassen, nicht resignieren, weiterhin auf die Straße gehen und allmählich an Schlagkraft gewinnen, ist die Hoffnung weltweit. In der Geschichte geht es irgendwann mal wieder bergauf, muss sich einreden, wer sich nicht entmutigen lassen will.

Veröffentlicht auf t-online.de, am Montag.

Ende einer Dynastie

Aus. Vorbei. Sie wird wohl nicht Präsidentin der stolzen Republik Frankreich. Wahrscheinlich geht sie in die Geschichte als die Frau ein, die von einem Gericht an der Erfüllung ihres Traums gehindert wurde.

Das Urteil ist ein Schock. Umfragen zufolge ist Marine Le Pen die beliebteste Politikerin Frankreichs. Ohne je zu regieren, prägt sie das politische System und entscheidet schon jetzt im Parlament darüber, wie lange der Premierminister und seine Minderheitsregierung überleben darf.

Dreimal ist sie bei Präsidentenwahlen angetreten, bekam von Mal zu Mal mehr Stimmen und hätte nach Lage der Dinge große Chancen gehabt, Nachfolgerin Emmanuel Macrons zu werden. Wird sie aber nicht, wenn sie nicht antreten darf.

Das Urteil tritt sofort in kraft. Für fünf Jahre ist ihr das passive Wahlrecht entzogen worden – sie kann also nicht gewählt werden. Dagegen kann Marine Le Pen zwar Berufung einlegen, aber die nächste Wahl steht schon im April 2027 an und der Wahlkampf wird weitaus früher beginnen. Solange dieses Urteil nicht aufgehoben ist, darf sie nicht als Kandidatin des Rassemblement National in Erscheinung treten.

Aber darf ein Gericht so weit gehen und einer Politikerin Berufsverbot erteilen? Darf es in die nächsten Wahlen eingreifen? Um diese Frage wird nun eine heftige Diskussion ausbrechen, aus der sich schließen lässt, wie tief Frankreich heute gespalten ist. Marine Le Pen hat, im Unterschied zu anderen nationalkonservativen Parteien in Europa, bislang keine abfälligen Bemerkungen über die demokratischen Institutionen gemacht, auch nicht über Gerichte und Richter. Der Verzicht auf Verunglimpfung gehörte zu ihrem Marsch in die Normalität, der ihrer Partei den Schwefelgeruch nehmen und sie ihrem Ziel der Machtübernahme näher bringen sollte.

Aber wie reagiert Marine Le Pen auf ihre Verurteilung? Nimmt sie das Urteil persönlich, könnte sie daraus einen Rachefeldzug gegen die Politisierung der Justiz ausrufen, die sich zum Büttel des amtierenden Präsidenten macht und ihr willfährig den Weg in den Elysée-Palast verbaut. Nationalkonservative inszenieren sich liebend gerne als Opfer des Systems. Auch wenn Marine Le Pen dieses Stadium eigentlich schon hinter sich gelassen hatte, könnte ihr der Rückfall sogar einen Popularitätsschub verleihen. Heute Abend um 20 Uhr lässt sie sich im französischen Fernsehen interviewen. Danach wissen wir mehr über ihren Gemütszustand.

Das Urteil nicht persönlich zu nehmen, dürfte ziemlich schwer fallen. Die Rechte Frankreichs war bislang ein Familienbetrieb mit dynastischer Erbfolge, ziemlich einmalig in der jüngeren Geschichte. Jean-Marie Le Pen gründete die Partei, die damals Front National hieß. Er war ein Provokateur, der die deutschen Vernichtungslager für ein „Detail der Geschichte des Zweiten Weltkriegs“ hielt und saß im Europa-Parlament. Seiner Tochter Marine vertraute er sein Werk 2011 an, wollte aber nicht weichen und verbreitete weiterhin seine kruden Thesen. Daraufhin schloss die Tochter den Vater aus seiner eigenen Partei aus, ein singulärer Akt, der besser ins 19. Jahrhundert gepasst hätte. Im Januar dieses Jahres ist Jean-Marie Le Pen mit 96 gestorben.

Das Betrugssystem, das Marine Le Pen zum Verhängnis geworden ist, hatte der Vater eingeführt und die Tochter übernommen. Es bestand darin, mit Geldern des Europäischen Parlaments Angestellte der Partei in Paris zu bezahlen. Zu diesem Zweck wurden sie offiziell Assistenten der rechten Abgeordneten, auch wenn sie keinen Fuß auf Brüsseler Boden setzten. So tauchte der Lebensgefährte Marine Le Pens als parlamentarischer Sekretär auf. Besonders absurd war der Einfall, den Leibwächter des Vaters zum Assistenten zu ernennen.

Marine Le Pen stritt die besonders grelle Korruption keineswegs ab. Sie argumentierte, die Partei sei wichtiger als das Individuum und deshalb stünden Mitglieder eigentlich im Dienst der Partei, egal wo sie gerade im Parlament säßen. Für die Scheinbeschäftigungen verurteilte sie das Gericht zusätzlich zu vier Jahren Haft, von denen zwei zur Bewährung ausgesetzt sind und die anderen beiden mit elektronischer Fußfessel abgebüsst werden können.

Die Dynastie der Le Pens ist Vergangenheit. Das Rassemblement National ist nicht länger Eigentum der Familie. Der Erbe kommt von außen, ist aber immerhin ein Ziehsohn, seit seinem 16. Lebensjahr Teil der Bewegung. Jordan Bardella gilt als großes politisches Talent, ist erst 29 Jahre alt und eine Art rechter Macron. Nun muss er aus dem überlebensgroßen Schatten Marine Le Pens treten, um ihr Lebenswerk abzurunden.

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.

Warum lange warten?

Manchmal empfiehlt es sich, die Dinge aus einer anderen Perspektive anzuschauen als immer nur der eigenen. Im Leben kann der Blickwechsel genauso wie in der Geopolitik von Vorteil sein. Also unternehmen wir mal einen Schwenk aus dem Trump-Amerika und dem geschockten Europa nach China. Wie sehen die grundstürzenden Ereignisse aus dieser Sicht aus?

Militärisch, ideologisch und geostrategisch bereitet sich China unter dem Dauerdiktator Xi Jinping schon seit Jahren auf die Konfrontation mit Amerika um die Weltherrschaft vor. Jedes Jahr, in dem die USA in der Ukraine und im Nahen Osten gebunden bleiben, ist ein gutes Jahr. So kann China in Ruhe Flugzeugträger bauen (den ersten kaufte das Riesenreich übrigens im Jahr 2020 halbfertig der Ukraine ab) und eine neue Klasse von Jagd-U-Booten, die Marschflugkörper auf Land schießen können. Außerdem legt die Marine zum Beispiel Landungsboote und Landungsfahrzeuge auf, die zweifellos die Voraussetzung für eine Invasion in Taiwan bilden. Die Luftwaffe lässt seit Jahren regelmäßig Kampfflugzeuge in taiwanesischen Luftraum kreisen, um den Besitzanspruch zu dokumentieren.

Eine Ein-Parteien-Diktatur vermag es, langfristig zu planen. Wenn man bedenkt, dass Deng Xiaoping erst vor 46 Jahren den staatlich gelenkten Kapitalismus in China einführte, bekommt man eine Vorstellung von der rasanten Entwicklung und der Zielstrebigkeit des kommunistischen Regimes. In der ersten Phase konzentrierte sich Deng auf die Bekämpfung der Armut. In der zweiten Phase lernte China von den fortgeschrittenen Industriestaaten des Westen. Jetzt ist das Riesenreich in der dritten Phase auf Autonomie bedacht, wirtschaftlich wie militärisch und strategisch – das ist die Bedingung der Möglichkeit, die Supermacht Amerika demnächst zu übertrumpfen.

Was für Russland die Ukraine ist, ist für China Taiwan. Dabei geht es nicht um die ferne Geschichte, in der die Insel von europäischen Seemächten beherrscht wurde, von den Portugiesen, den Holländern, den Spaniern. Von 1895 bis 1945 stand Taiwan dann unter japanischem Joch.

Der Anspruch Chinas gründet vor allem auf die Jahre von 1945 bis 1949, als Maos rote Truppen den Bürgerkrieg gewannen und die Nationalisten unter Chiang Kai-shek mit zwei Millionen Anhängern auf die Insel Taiwan flüchteten.

Heute ist Taiwan ein Inselstaat mit 23 Millionen Einwohnern. Eine kapitalistische Demokratie mit einer starken Wirtschaft, in der die Halbleiter-Industrie die Welt mit Mikroprozessoren für Handys, E-Autos und militärischer Rüstung versorgt. Ökonomisch gesehen eine erstaunliche Leistung für eine kleine, politisch isolierte Insel. Denn das große China hat das kleine China seit 1971, dem Jahr der Aufnahme in die Uno, systematisch international isoliert. Heute hat Taiwan nur noch wenige diplomatische Beziehungen, unter anderem mit Guatemala, Haiti oder Paraguay.

Amerika ist die Schutzmacht Taiwans. Im Prinzip. 

Schon wahr, die Insel wurde in den vergangenen 20 Jahren mit Rüstungsgütern in Höhe von 50 Milliarden Doller versorgt. Eine Garantie-Erklärung für die Existenz Taiwans gibt Amerika allerdings nicht ab. Das Verhältnis zur Insel vor Chinas Küste bezeichnen die USA als „strategische Ambiguität“. Ein kluger Begriff, denn damit ist gemeint, dass weder Taiwan noch China sicher sein können, ob die USA im Falle einer Invasion eingreifen werden oder nicht.

So behält Amerika freie Hand in Asien. Und strategische Ambiguität zeichnet jetzt auch das Verhältnis zu Europa aus, bestenfalls.

Taiwans Existenz steht unter Vorbehalt. Die Regierungen betonen sicherheitshalber den Wunsch nach Unabhängigkeit nicht allzu lautstark – sie versuchen, das übermächtige China nicht zu provozieren. 

Versetzen wir uns weiter in die Lage Chinas: Die vier Jahre mit Donald Trump bieten Chancen darauf, dass Amerika einer Annexion tatenlos zusehen könnte. In Trumps Gedankenwelt nehmen sich starke Männer, was sie sich nehmen wollen. Und die Schwachen sind selber schuld daran, dass sie unterlegen sind – Pech gehabt.

Dass sich Amerika von Europa abwendet, um sich Asien zuzuwenden, ist aus chinesischer Sicht ohnehin  keine große Bedrohung. Schon wahr, Japan und Südkorea sind mit den USA verbündet, die dort Stützpunkte unterhalten. Aber Japan geht erst langsam dazu über, eine Militärmacht aufzubauen und Südkorea hat zwar viele Menschen unter Waffen, ist aber keine furchteinflößende Größe in Nordasien.

Vieles spricht dafür, dass China mit seiner Übernahme Taiwans in absehbarer Zeit ernst macht. Warum sollte Xi abwarten, bis Japan und Südkorea im Schlepptau Amerikas hochgerüstet sind und China gleichsam einkreisen?

Doch es muss ja nicht unbedingt eine militärische Lösung geben. China könnte nach dem Vorbild Hongkong vorgehen und einen Schein-Deal mit Taiwan eingehen – ein China, zwei Systeme. Und danach könnte China langsam Fakten auf der kleinen Insel schaffen, die einer Annexion gleichkommen. Darauf sollten wir uns einstellen.

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.

Der einfühlsame Herr Trump

Ein Ziel hat Wladimir Putin schon mal erreicht. In dieser Woche wird er wieder mit Donald Trump telefonieren. Amerika ist also gewillt,  auf Augenhöhe mit Russland zu verhandeln. Der amerikanische Präsident hofiert den russischen Präsidenten.

Schon lange stellt sich die Frage, aus welchem Grund der eine dem anderen so viel Verständnis zollt. Kluge Leute, die Donald Trump kennen, führen seine Bereitschaft zum Entgegenkommen auf seine Bewunderung für Autokraten zurück – für starke Männer, die ihr großes Land mit eiserner Faust beherrschen. Diese Fähigkeit hat Putin zweifellos bewiesen. Er will Russland wieder groß machen und die Mittel dazu, kriegerischen Imperialismus der alten Art, stören Trump nicht, im Gegenteil. Von ihm gibt es Sätze, aus denen sich schließen lässt, wie er sich mit ihm identifiziert.

Ohne Zweifel sieht sich Trump in der Tradition der großen Männer, die sich unerhörte Dinge vornehmen. Was für Putin die Ukraine ist, ist ihm Kanada – ein Land, das er sich unterwerfen will, weil es kein Recht auf Eigenheit, auf Unabhängigkeit besitzt. Der Starke verschlingt den Kleinen, so denken sich Autokraten die Welt.

Aber erst einmal beugen sich die beiden Herren über die Ukraine und machen sich daran, deren Schicksal zu bestimmen. Es ist offenbar egal, dass Putin den Vorschlag für eine Waffenruhe, die 30 Tage anhalten soll, eigentlich abgelehnt hat. Denn wer Bedingungen stellt, Nachfragen hat und europäische Kontingente, die später den endgültigen Waffenstillstand überwachen könnten,  vorsorglich ablehnt, signalisiert Desinteresse.

Warum sollte sich Putin auch beeilen? Militärisch sind seine Truppen auf dem Vormarsch, im Donbass wie in der Region Kursk, langsam zwar, aber die Zeit spielt für ihn. Volodymyr Selenskji wechselte gerade den Generalstabschef aus, was immer ein Alarmzeichen dafür ist, dass hier etwas schiefgeht.

Dass Putin überhaupt in die privilegierte Lage geraten ist, Gegenforderungen aufzustellen, verdankt er dem einfühlsamen amerikanischen Präsidenten. Trumps Interesse ist es, Russland an seine Seite zu ziehen im strategischen Großkonflikt mit China. Er glaubt, er bekommt das hin, indem er Angebote unterbreitet, die Russland nicht abschlagen kann. Dazu gehört die Wiederaufnahme in den Kreis der G -7-Staaten. Aus ihm war Russland nach der Annexion der Krim ausgeschlossen worden.

Russland ist in der Zwischenzeit eine strategische Partnerschaft mit China eingegangen, wobei Partnerschaft ein großes Wort ist, wenn man die Größenverhältnisse bedenkt. Chinas Einfluss wächst rasant, politisch wie ökonomisch. Russlands Einfluss mäandert, zum Beispiel im Nahen Osten. Deshalb ist China Koch und Russland Kellner.

Trump bringt Putin in eine komfortable Situation. Er will etwas von ihm. Deshalb spielt er mit Selenskji. Behandelt ihn schäbig. Nennt ihn einen Diktator. Behauptet, die Ukraine habe den Krieg angefangen. Hat Verständnis für Putin und serviert ihm deshalb die Ukraine auf dem Silbertablett.

Trump will diesen Krieg beenden. Er hat es nicht nur großmäulig versprochen, er ist nicht nur davon überzeugt, dass es ihn nicht gegeben hätte, wäre er im Februar 2022 Präsident gewesen – für ihn ist die Ukraine ein Störfaktor, der beseitigt werden muss. Die Lehre, die er daraus zieht, heißt: Putin soll sich nehmen, was er will und Europa soll schauen, wo es bleibt.

Deshalb mangelt es nicht an Zugeständnissen. Russland stört die Vielzahl der Sanktionen, die sich aber umgehen lassen, schon wahr, aber dennoch bleiben sie ein Ärgernis, weil sie Putin zum internationalen Paria machen. Trump scheint jetzt bereit zu sein, auf mittlere Sicht diese Strafmaßnahmen aufzuheben. Damit gibt er Russland die unverhoffte Chance auf Rückkehr in die Normalität.

Im Zusammenspiel der Autokraten kommt Europa noch nicht einmal eine Nebenrolle zu. Trump ignoriert den Kontinent, der mehr in die Aufrüstung der Ukraine investierte als die USA. Man darf jetzt gespannt sein, ob sich England und Frankreich nachhaltig in Erinnerung bringen und ein Wörtchen bei der Regelung der Nachkriegsordnung in der Ukraine mitreden können.

Wichtig wäre es natürlich auch, wenn die anderen G-7-Länder Einspruch gegen Russlands Wiedereingliederung erheben würden. Vier der sieben Staaten (Deutschland, Großbritannien, Italien, Frankreich) liegen ja in Europa. Ihr Votum hat Gewicht, zumal Kanada und vielleicht auch Japan Trumps Neokolonialismus zutiefst misstrauisch begegnen. Und wenn es zur Zurücknahme der Sanktionen kommen sollte, wäre es nur angemessen, wenn Europa nicht wie üblich den USA folgten. Die Zeiten des Geleitschutzes sind ja vorbei. Konsens war gestern. Dissens und Disruption sind heute.

Auf der Weltbühne ordnen sich ein paar Verhältnisse neu. Es wäre  nur zu gut, wenn sich Europa politisch so viel Macht zulegte, wie es seinen ökonomischen Möglichkeiten entspricht. Und natürlich ist eine Voraussetzung für größere Autorität der militärische Aufbau, der so schnell wie möglich vonstatten gehen sollte.

Veröffentlicht auf t-online.de, gestern.

Die Dampframme der Geschichte

Donald Trump, ob uns das gefällt oder nicht, schreibt Weltgeschichte. Darin liegt sein Ehrgeiz, darauf will er hinaus. Die Frage ist nur, wie ihn die Historiker beurteilen werden – als Helden oder Schurken. Die Chancen stehen gut, dass sie ihn unbarmherzig behandeln. Dafür könnte der Umgang mit Wolodymyr Selenskji und die Ukraine sorgen

Eigentlich wollte Amerika immer der Standartenführer der freien Welt sein und erlebte auf diese Weise den Aufschwung zur Weltmacht ohnegleichen. Das Missionarische, das in diesem Riesenland von Anfang an steckte, rettete Europa zweimal vor sich selber. Nach 1945 machte Amerika aus zwei Kriegsverbrecherländern wie Japan und Deutschland Demokratien. Und ohne die USA wäre die Sowjetunion nicht implodiert.

Donald Trump will aber die Dampframme der Geschichte sein. Die Europäische Union, sagt er allen Ernstes, sei ins Leben gerufen worden, um Amerika übers Ohr zu hauen. Aus diesem Grund will er Zölle auf Waren aus Europa erheben. Die Nato wiederum besteht aus seiner Sicht aus Schmarotzern, die weniger für das Bündnis ausgeben als versprochen (was stimmt), weshalb er sich aus Europa zurückzieht und auch den Artikel 5 nicht anwenden will, der zur Solidarität verpflichtet, wenn Russland zum Beispiel die baltischen Staaten angreifen sollte. Und Wladimir Putin ist für Trump ein kluger Mann, für den man Verständnis haben sollte.

Die rationale Seite des Bulldozertums ist die Konzentration auf die Auseinandersetzung mit China. Diesen Schwenk nach Asien wollte schon jeder Präsident seit Barack Obama vollziehen, wurde aber davon abgehalten – wegen Syrien, wegen Libyen, wegen Gaza/Libanon/Iran, wegen der Ukraine.

Deshalb will Trump, koste es, was es wolle, diese Kriege in unserer Weltgegend beenden, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren – die Konkurrenz mit der anderen Supermacht und Russland im Schlepptau. Die Konsequenzen kannten wir schon länger, wollten sie aber nicht wahrhaben. Seit dem Rauswurf des ukrainischen Präsidenten aus dem Weißen Haus wissen wir endgültig, was uns blühen kann.

Keir Starmer und Emmanuel Macron übernehmen die Führung Europas, und das ist gut so. Großbritannien und Frankreich sind Atommächte, was ihnen großes Gewicht verleiht. Macron unterbreitete schon mehrmals weitreichende Vorschläge für den Ausbau Europas. Der erste Ansprechpartner war jeweils Deutschland, aber dort saßen zuerst Angela Merkel und dann Olaf Scholz. Beiden ist gemeinsam, dass ihnen der Mangel an Phantasie als pragmatische Tugend erscheint, während ihnen der französische Präsident als Tausendsassa-Visionär stets verdächtig war.

Nach London reiste gestern Olaf Scholz, als wäre es selbstverständlich. Die Staatsraison hätte es geboten, Friedrich Merz mitzunehmen, der ja schließlich demnächst die Beschlüsse umsetzen muss, die in diesen Tagen gefasst werden. Konsequenterweise blieb Scholz gestern eine Randfigur. Eine wichtige Rolle nahm statt dessen Polen ein.

Europa hegt die Absicht, einen Plan zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine zu entwerfen. Das Ergebnis soll, so trug es der britische Premier vor, Amerika unterbreitet werden. Bis es soweit ist, will die Europäische Union soviel Rüstungsgut wie möglich liefern, damit die Ukraine weiterkämpfen kann. Großbritannien wie Frankreich bieten Truppen an, die  dann den Frieden militärisch sichern sollen. Da es Frieden oder Waffenstillstand ohne Amerikas Absicherung allerdings noch nicht geben kann, werden Delegationen im Weißen Haus für gutes Wetter werben.

Den besten Draht zu Donald Trump hat offenbar Giorgia Meloni, die italienische Ministerpräsidentin. Starmer und Macron waren in der vorigen Woche im Weißen Haus und verstanden es, Schmeichelei mit Kritik zu verbinden: Nicht die Ukraine, so lautete die Botschaft, sondern Russland fing den Krieg an, und Wladimir Putin ist nicht zu trauen. Nachhilfe in Geschichte muss man dem US-Präsidenten ganz, ganz vorsichtig andienen.

Wie schnell Trump übel nimmt und wie kraftvoll er  sich mit Ressentiments auflädt, wissen wir jetzt. Für ihn hat alles, was gesagt wird und passiert, mit ihm persönlich zu tun. So etwas wie objektive Probleme oder traditionelle Strukturen gibt es für ihn nicht. Zum Schutz vor unliebsamer Wahrheit umgibt er sich mit Freunden und Schmeichlern wie Elon Musk, der dem Auftrag nachkommt, die herrschende Bürokratie nieder zu reißen.

Die Soziologen nennen diesen Regierungsstil Patrimonialismus. Trump belohnt Loyalität und bestraft Unbotmäßigkeit. Er baut den Staat so um, dass er ausschließlich auf ihn ausgerichtet ist. Er tut so, als seien die Institutionen sein persönliches Eigentum oder Zweige seines Konzerns. Und wer sich ihm nicht beugt, ist sein Feind.

Das Treffen in London wird in die Geschichte eingehen. Europa übernimmt Verantwortung auf seinem Kontinent. Großbritannien ist zurück, trotz Brexit. Beim Gipfeltreffen der Europäischen Union am kommenden Donnerstag müssen noch mehr wegweisende Entscheidungen fallen. Dann geht es um eine europäische Rüstungsindustrie und die Finanzierung erhöhter Rüstungsausgaben für jedes Mitgliedsland. Die Unterschiede zwischen Nato und Europäischer Union werden sich ziemlich schnell einebnen. 

Politik bekommt in diesen zukunftsbestimmenden Tagen einen neuen Akzent. Sie ist nicht mehr fern, sie ist nicht mehr abstrakt, sie ist nicht mehr nur Parteienstreit und Rivalität. Sie wird jetzt existentiell aufgeladen, weil nun Fragen von Krieg und Frieden ins Zentrum rücken.

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.

„Wir spielen eine untergeordnete Rolle“

Als Roland Berger in den 1960er Jahren begann, war Beratung für Unternehmen noch ein Fremdwort. Manager sollten gefälligst selber Strategien entwickeln. Im Boom dieser Zeit änderte sich aber die Arbeitsteilung und externe Berater auf Zeit entwickelten fortan gegen Honorar Marktstrategien. Bald beriet Berger den Großteil deutscher Unternehmen und Banken, eröffnete später Büros weltweit. Seine Lebensgeschichte, die der renommierte Historiker Gregor Schöllgen aufschrieb, erscheint dieser Tage. Berger, 87, berät noch immer Unternehmen und CEOs. Er sagt, so bleibe es, „solange ich in der Lage bin, um die Welt zu fliegen“.

t-online:  Herr Berger, wären Sie in der Welt von heute gerne noch mal jung?

Berger: Ja, schon, weil ich ein positiver Mensch bin. In der Krise liegen nach meiner Erfahrung immer auch große Chancen. Und wenn ich meine Chance hier nicht fände, würde ich sie irgendwo auf der Welt  suchen. In einem Zeitalter, in dem die Technologien sich rasant verändern, würde mir sicherlich etwas einfallen. 

Ihre Karriere fiel in die goldenen Jahre der Bundesrepublik. Ist diese Zeit unwiederbringlich vorbei?

Nicht unwiederbringlich, aber im Moment durchleben wir eine erhebliche Krise. Wir stecken in der Rezession, in den letzten fünf von sechs Jahren war die Industrieproduktion rückläufig. Wir haben kaum noch wachsende Netto-Investitionen, weder im öffentlichen noch im privaten Bereich. Wir sind weit weg vom Exportweltmeister Inzwischen sind wir der drittschlechteste Exporteur in der OECD. Die Arbeitslosigkeit liegt schon wieder bei 3 Millionen. 

Krisen sind gute Zeiten für strategische Berater. Wo würden Sie ansetzen?

Wir haben ein Grundsatzproblem: Unsere Industrie ist Weltspitze in Technologien, die zwischen 100 und 200 Jahre alt sind. Chemie: 100 Jahre alt. Automobilindustrie 150 Jahre alt. Maschinenbau: 200 Jahre alt. Aber wir müssen feststellen, dass zum Beispiel China bei allen drei Produktkategorien, vor allem der Automobilindustrie, schnell auf unser Niveau kommt und uns mit niedrigeren Preisen bei gleicher technologischer Leistungsfähigkeit bekämpft. Die Zukunft liegt in disruptiven Technologien wie der Digitalisierung, in künstlicher Intelligenz oder in Gen- und Biotechnologien. Und wir? Wir spielen auf diesem Feld eine untergeordnete Rolle. Wir haben SAP, ein exzellentes Weltunternehmen, aber dessen Marktkapitalisierung macht nur gut ein Zehntel von Microsoft oder Apple aus.

In Not ist die besonders die deutsche Automobilindustrie. 

Sie wird nicht aussterben. Sie produziert heute schon in den USA, in China, Südamerika, in Südostasien. Sie kann sich auch nach Afrika ausdehnen, was teilweise, zum Beispiel in Südafrika, schon geschieht. Aber sie muss eine ganze Generation Technologie bei den batteriegetriebenen E-Autos und bei Hybriden aufholen. Das Auto der Zukunft wird ein Computer auf vier Rädern sein. Die deutsche Automobilindustrie wird weltweit stark bleiben, aber mit weniger arbeitsintensiver Wertschöpfung und Beschäftigung in Deutschland. Wir werden mittelfristig weniger Autos in Deutschland produzieren, doch die hochwertigen Wertschöpfungsfunktionen wie Entwicklung, Design, Software-Entwicklung bis zu Produktionsanläufen, Logistik und der Fertigung von Premiumautos im Lande behalten können.

Die Wirtschaft macht die Politik für die Krise verantwortlich. Die Regierung wiederum sucht die Versäumnisse bei den Unternehmen. Wer von beiden hat mehr recht? 

Die Politik muss die Rahmenbedingungen setzen – von der Bildung über Forschung bis zur Technologieentwicklung. Aber bis zu 80 Prozent der Investitionen entfallen auf die Industrie. Und die Unternehmen bewähren sich mit ihren innovativen Produkten im freien Wettbewerb auf den Märkten. Dort haben sich unsere starken Industrien bisher gut geschlagen. Was uns jedoch praktisch fehlt, sind Start-ups in den disruptiven Zukunftstechnologien, aus denen dann große, weltmarktführende Unternehmen werden. Sobald sich diese als einigermaßen wettbewerbsfähig erweisen, werden sie aufgekauft – im positiven Fall von deutschen Großkonzernen wie Siemens, Bosch oder anderen, zu oft  aber von ausländischen Wettbewerbern oder Finanzinvestoren.

Vorhin haben Sie SAP als Leuchtturm erwähnt. Wie ließe sich dieser Erfolg wiederholen?

SAP wurde gegründet von einer Handvoll Partnern mit innovativen Produkten, die das Unternehmen bis zu einer kritischen Größe weltmarktfähig entwickelt haben und dann an die Börse brachten. Zuerst haben sie sich selber finanziert und dann über den Kapitalmarkt die Mittel bekommen, um international groß zu werden, vor allem in den USA. Solche Beispiele haben wir heute viel zu wenige. In China sind die Fahrdienste von Didi größer als Uber und Tencent größer als Google. In den Biowissenschaften ist ein solider deutscher Hoffnungswert die von dem Ehepaar Ugur Sahin und Özlem Türeci aufgebaute BioNTech SE, die mit ihrem mRNA basierten Impfstoff Deutschland durch die Covid-Pandemie geholfen hat. Mit Hilfe ihrer deutschen Investoren – selbst exzellente und risikobereite Unternehmer – kann daraus ein Weltunternehmen wie SAP werden.

Der nächste Bundeskanzler wird Friedrich. Wie gut kennen Sie ihn? 

Schon ziemlich lange und relativ gut. Ich bin ihm während seiner Jahre in der Wirtschaft, in Aufsichtsräten und zuletzt bei Blackrock immer wieder begegnet. 

Wo liegen seine Stärken? 

Er ist klar im Kopf, ein guter Analytiker. Er ist fähig, Strategien und Visionen für unser Land zu entwickeln und mit der richtigen Regierungsmannschaft umzusetzen. Er ist rhetorisch exzellent, wenn auch kein Mann für die Marktplätze und die Bierzelte, auch nicht für die sozialen Medien. Aber er ist führungsstark, vertrauenswürdig und hält ein, was er verspricht

Denken Sie denn auch, dass Alice Weidel unsere nächste Kanzlerin werden könnte, falls Friedrich Merz scheitert?

Ich mag mir nicht vorstellen, dass eine rechtsradikale Partei, die  ihre Wurzeln im Nationalsozialismus hat und sich durch Verständnis für Russlands Diktatur auszeichnet, eine Mehrheit gewinnen könnte. 

In diesen Tagen erscheint eine Biographie über Sie, geschrieben von dem Historiker Gregor Schöllgen. Sind Sie  glücklich damit? 

Ja, ich finde, das Buch liest sich leicht und ich bin auch ganz gut getroffen. Man muss wissen, Gregor Schöllgen ist ein seriöser deutscher Historiker, der nur schreibt, wofür er handfeste Belege hat. Deshalb kommt fast notgedrungen ein Aspekt kommt zu kurz – unsere internationalen Aktivitäten. Aber wer sich für unternehmerische Wege zum Erfolg interessiert, sollte das Buch lesen.

Sie haben in den 1960 er Jahren die Beratung als junger Mann in Mailand in einer italienisch-amerikanischen Firma gelernt. Warum sind Sie nicht dort geblieben, sondern nach München zurückgegangen? 

München war mein Zuhause. Ich habe gedacht, ich probiere hier aus, was ich in Italien und Amerika gelernt habe. Unsere Wirtschaft war damals im Umbruch, das Wachstum betrug durchschnittlich 5 Prozent, heute ein Traumwert. Ich wollte dabei sein, ich traute mir zu mitzugestalten.

Aber damals war es noch nicht üblich dass sich Konzerne extern Rat suchten. Den Markt, auf dem Sie beraten wollten, gab es noch nicht.

Das stimmt, Unternehmer oder Manager sollten selber ihre Strategie entwickeln und umsetzen, sonst war ihr Job in Gefahr. Aber im Boom dieser Zeit nahm die Arbeitsteilung und damit die Spezialisierung auch in Deutschland zu. Die Großunternehmen waren teils verbürokratisiert und schwerfällig. Deshalb schien es vorteilhaft zu sein, auf Zeit Berater von außen zu engagieren, die einen unvoreingenommen Blick auf die Dinge warfen und Vorschläge unterbreiteten. Das kostete Geld, schon wahr, aber jeder Unternehmer war die Berater nach drei, vier Monaten auch wieder los.

Sie haben sich selbst als „unruhiger Kopf“ bezeichnet. Was meinen Sie damit? 

Na ja, ich gebe mich nicht damit zufrieden, was ich gerade tue. Ich schaue mich immer um, ob es etwas noch Interessanteres gibt. Ich bin auch bereit, Risiken einzugehen.

Hat sich die Unruhe mit den Jahren gegeben?

Natürlich bin ich stolz darauf, dass ich aus einer Einmannfirma die größte weltweit tätige nichtamerikanische Strategieberatung gemacht habe. Aber genauso stolz bin ich heute auf meine Stiftung. die sich um talentierte, leistungsbereite Kinder aus sozial benachteiligten, bildungsfernen Familien kümmert und sie von der Volksschule bis zum Abitur begleitet. 

Sie haben diese Stiftung 2008 gegründet. Wie viele Kinder haben Sie seither auf den Weg gebracht? 

Insgesamt gut 1100 Kinder bundesweit. Heute konzentrieren wir uns auf 80 Partnerschulen und haben insgesamt 700 Stipendiaten. Sie bekommen kein Geld, sondern Unterrichtsleistungen. Wir finanzieren Schulausflüge und übernehmen die Kosten für Ferienakademien an der Ostsee oder auch mal in Norditalien. Dazu bekommt jeder Stipendiat einen ehrenamtlichen Mentoren, der ihm die bürgerliche Gesellschaft öffnet und mit ihm zum Beispiel ins Fußballstadion, in die Oper oder in Konzerte gehen.

Ihre Stiftung ist ein Ergebnis Ihrer Karriere, die Sie im München der 1960er Jahre begannen.  We lange hat es gedauert, bis Sie Boden unter den Füßen hatten? 

Anfangs hatte ich einen Beratungsvertrag mit einer Werbeagentur, für die ich zwei Tage die Woche arbeitete. Dadurch hatte ich ein Büro und eine Sekretärin. Den Rest der Woche arbeitete ich auf eigene Rechnung. Ungefähr nach 10 bis 12 Jahren war die Nachfrage nach Roland Berger Strategy Consultants und unseren Leistungen groß genug, so dass wir finanziell unabhängig waren. Von da an wuchs die Firma rasant. Die Voraussetzung für den Erfolg war unsere Bekanntheit und Reputation und ein wachsendes Netzwerk in der Wirtschaft und auch in der Politik. 

Dann haben Sie einen Großteil der deutschen Banken und Großunternehmen strategisch beraten. Was ist aus heutiger Sicht Ihr größter Erfolg?

Wahrscheinlich die Sanierung und Restrukturierung und Privatisierung der Lufthansa, so dass daraus ein wettbewerbs- und börsenfähiges Unternehmen entstand, das war 1992. Wir haben den gesamten Konzern in sechs fokussierte Divisionen gegliedert –   Lufthansa-Passage, Lufthansa-Fracht, Lufthansa-Technik, heute übrigens der Weltmarktführer bei Flugzeugreparaturen und -services usw.

Was war Ihr größter Misserfolg?

 Das werde ich oft gefragt. 

Na ja, liegt ja auch auf der Hand. René Benko, der österreichische Unternehmer, der gerade pleite ging? 

Das war eine Privatinvestition, hatte mit der Firma nichts zu tun. Wir haben unseren Kunden keine Luftschlösser gebaut, sondern  machbare Lösungen kreiert und uns um Innovation bemüht. Also, ich würde sagen, von unseren Projekten ist eigentlich keines schief gegangen.

Sie sind mehrmals gefragt worden, ob Sie nicht Wirtschaftsminister werden wollten, zuletzt 1998 von Gerhard Schröder. Was hielt Sie vom Seitenwechsel ab?

Einerseits hatte ich damals das Gefühl, mein Unternehmen sei noch nicht so weit, als dass ich es allein lassen könnte. Wir hatten systematisch Büros in großen Teilen der Welt aufgebaut, wir hatten uns gerade internationalisiert. Andererseits stammte das Wirtschaftsprogramm der SPD überwiegend von Herrn Lafontaine; damit konnte ich mich nicht identifizieren. Wobei ich natürlich wusste, dass Gerhard Schröder zu Veränderungen fähig war. Ich wusste aber auch, dass Quereinsteiger in der Politik nicht wirklich eine Chance haben, Einfluss auszuüben. Ihnen fehlt nun einmal der Stallgeruch.

Ihre Firma trägt weiterhin ihren Namen, aber Sie sind raus. 

Ja, ich bin raus.

Wie schwer fiel Ihnen das Loslassen? 

Ich habe meine bis heute vier Nachfolger als CEO unserer Firma noch zu meiner aktiven Zeit selber angeheuert und gefördert. Ich bin im Jahr 2003, nach meinem 65. Geburtstag, in den Aufsichtsrat gewechselt, habe aber als Berater weitergearbeitet und blieb unser Hauptverkäufer, auch international, bis zu meinem Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat 2010. Bis zu meinem 85. Lebensjahr war ich dann Ehrenvorsitzender, doch ohne Anteile, ohne Stimmrecht – doch schon einer, der mitredet. 

War das Aufhören wirklich so einfach?

Ich bin nicht ganz im Guten aus der Firma ausgeschieden. Nach meiner Zeit geriet die Firma in schweres Wasser und ich habe 100 Millionen Euro aus meinem versteuerten Privatvermögen hinein gesteckt. Teile davon bekamen meine Stiftung und ich zurück, 30 Millionen Euro habe ich den Partnern geschenkt.

Geben Sie heute noch Rat?

Ja, das habe ich mit der Firma beim Ausscheiden vereinbart. Ich kann persönlich Unternehmen oder CEOs beraten. Und das tue ich auch, solange ich in der Lage bin, um die Welt zu fliegen.

Das letzte große Ereignis, das mit Ihrem Namen verbunden ist, entstand aus einem Artikel im „Handelsblatt“  im Jahr 2019, der sich um die Geschichte Ihres Vaters in der Nazi-Zeit drehte, aber gegen Sie gerichtet war. Wie hart hat Sie das getroffen?

Sehr hart. Die Journalisten kamen auf meinem Vater durch ein Buch über die Hitler-Jugend. Mein Vater war als Fachbeamter  Reichskassenverwalter der HJ und machte dort Karriere. 1939, noch vor Kriegsbeginn, kündigte er und schied aus. Er hat mir erzählt, die Reichspogromnacht 1938 habe ihn nicht in Ruhe gelassen, aber er war auch ein gläubiger Mensch, ein Christ, der seine Religion leben wollte.

Das „Handelsblatt“ warf Ihnen vor, Sie hätten Ihren Vater als Opfer der Nazis dargestellt.

Ich habe gesagt, mein Vater sei 1932 oder 1933 in die NSDAP eingetreten – es war aber 1931. Und ich habe gedacht, er sei mit seiner Kündigung bei der HJ 1939 auch aus der Partei ausgetreten, was nicht stimmte. Ich habe dann den Historiker Michael Wolffsohn um ein Gutachten gebeten, das die Geschichte meines Vaters detailliert rekonstruiert und die gegen mich gerichteten Vorwürfe richtig stellt. Mein Vater wurde 1940 in Wien Chef der Ankerbrotfabrik. Baldur von Schirach, der Gauleiter von Wien und ein alter Feind meines Vaters aus HJ-Zeiten, sorgte dafür, dass er seine Stellung verlor und Arbeitsverbot erhielt. Am Ende des Krieges war mein Vater finanziell ruiniert und gesundheitlich schwer gezeichnet.

Ihre Eltern ließen sich 1952 scheiden. Ihre Mutter hat bis ins hohe Alter in Ihrer Firma gearbeitet. Wie kam das?

Als ich mich selbständig machte, hat sie abends die Buchhaltung gemacht. Tagsüber ging sie ihrem eigenen Job nach. Dann war irgendwann die Firma groß genug, so dass sie unsere Finanzchefin wurde. Als wir später einen professionellen Steuerberater und Wirtschaftsprüfer als Finanzchef gewonnen haben, kümmerte sie sich um die Reiseabrechnungen der Berater, einem wesentlichen Kostenfaktor. So blieb sie mit jungen Leuten in Kontakt.und vereinsamte nicht.

Herr Berger, danke für dieses Gespräch.

Veröffentlicht auf t-online.de, am Samstag.

Schafft das Friedrich Merz?

Eigentlich konnte man sich immer darauf verlassen, dass die Deutschen  darauf bedacht sind, eine stabile Regierung zu wählen. Dazu gehörte, dass jemand Bundeskanzler werden konnte, den die Leute achteten. Auch deshalb hatte das Land zumeist Glück mit den Herren und der Dame, die sie regierten, und deshalb durften sie zumeist lange im Amt bleiben.

Manchmal schon ging es verdammt knapp zu. Konrad Adenauer wurde im Jahr 1949 mit einer einzigen Stimme Mehrheit zum Gründungskanzler gewählt – seiner eigenen. 20 Jahre später, 1969, beschlossen SPD und FDP gemeinsam zu regieren – „Machtwechsel“ hieß der Vorgang damals, weil die CDU/CSU, die das Recht, den Kanzler zu stellen, seit Adenauer für gottgegeben erachtete, plötzlich in der Opposition landete. Willy Brandt führte das Land und baute drei Jahre später seine Mehrheit erheblich aus. Er wurde von den Deutschen für seinen Mut belohnt, Entspannungspolitik zu betreiben.

Ihn hätte sich Olaf Scholz besser zum Vorbild genommen – besser für ihn, besser für uns. Halbherzigkeit anstatt Mut: Zeitenwende für die Bundeswehr, aber keine Wehrpflicht. Rüstungsgüter für die Ukraine, aber keinen Taurus. Die Deutschen belehren, aber nicht führen.

Für Olaf Scholz tanzten die Deutschen im Jahr 2020 zum ersten Mal aus der Reihe. Sie machten ihn zum Zufallskanzler. Armin Laschet lachte im falschen Moment am falschen Ort und machte im übrigen auch nicht den Eindruck, er wäre ein starker Kanzler, dem man das Land anvertrauen darf.

Olaf Scholz war schon viele Jahre in der gehobenen Politik gewesen, als Bundesminister, als Bürgermeister. Er war kompetent, er sagte das Richtige im richtigen Moment. Ihm trauten die Deutschen zu, dass er Kanzler konnte. Für ihren Irrtum haben sie ihn jetzt bitter bestraft.

Was sich jetzt ereignet, ist kein Machtwechsel, sondern ein Machtwechselchen. Die SPD bleibt, wo sie ist – geschrumpft  in der Regierung. Friedrich Merz zieht ohne Glanz und Gloria ins Kanzleramt ein. Immerhin bewahren uns die Wähler vor einem erneuten Dreierbündnis. Aber die nächste Koalition bringt nur 44,9 Prozent auf die Waage. Relativer war noch nie eine Mehrheit im Bundestag.

Die Deutschen erteilen zum zweiten Mal einem Mann die Chance, Kanzler zu werden, von dem sie nicht besonders viel halten. Friedrich Merz macht ja eigentlich was her: groß gewachsen, schlank, selbstsicher. Hat einiges hinter sich auch, auch die grandiose Niederlage gegen Angela Merkel. War in der Wirtschaft, ist finanziell unabhängig. Kämpfte sich in der CDU im dritten Anlauf durch.

Neigt aber auch zu Übersprungshandlungen. So überstürzt ging er bei dem Versuch vor, ein scharfes Gesetz gegen Immigration mit freundlicher Unterstützung der AfD durch den Bundestag zu jagen. Er begründete die Notwendigkeit mit den Attentaten in Aschaffenburg und München. Nach durchdachtem Vorgehen unter besonderen Umständen hörte sich das nicht an. Er setzte viel aufs Spiel, unter anderem seine Glaubwürdigkeit.

Einem zukünftigem Kanzler, der dem Voluntarismus nicht abhold ist, geben die Deutschen keinen Vertrauensvorschuss. Sie bauen im Gegenteil einen Vorbehalt ein, indem sie die Union weit weniger als die erhofften 30 Prozent plus gewähren. Die Auseinandersetzung über die Schuldfrage am mageren Ergebnis ist nur aufgeschoben.

Ironischerweise liegt über Friedrich Merz der lange Schatten von Angela Merkel. In ihre Amtszeit fällt das Jahr 2015, als die die Grenzen für Geflüchtete öffnete und den legendär humanen Satz formulierte: Wir schaffen das. Sie hat es nicht geschafft, wir haben es nicht geschafft. Aber die AfD schaffte es, binnen kurzem aus einer Professorenpartei zu einer Anti-Immigrations-Partei zu werden; in Ostdeutschland ist sie sogar, was einmal Volkspartei hieß.

Die Wähler tragen der Union 2015 noch nach. Vielleicht wäre Merz belohnt worden, hätte er das Gesetz durch den Bundestag geboxt. So aber sagten sich die Wähler: Netter Versuch, aber ihr schafft es nicht.

Jetzt wird die Union zum vierten Mal mit der SPD regieren. Wird die SPD, ramponiert wie sie ist, wieder in den Brauch verfallen, zugleich zu opponieren? Oder folgt sie ab jetzt dem dänischen Modell – strikte Flüchtlingspolitik plus Aufrüstung? Schafft diese Koalition, was sie unbedingt schaffen muss?

Immigration ist nicht das allerwichtigste Thema, aber darin bündelt sich die grassierende Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen, mit der Demokratie. Jens Spahn sprach am Wahlabend ein paar dramatische Sätze aus, die einfach zutreffen: Schafft es diese nächste Regierung nicht, drängende Probleme zu lösen, dann vollzieht Deutschland bald nach, was in Holland und Österreich schon passiert ist und Frankreich nach Emmanuel Macron blühen kann – dann überholt die AfD die Union.

Ja, Friedrich Merz weiß, worauf es jetzt ankommt. Er hat es auch gestern Abend wiederholt. Der Westen, wie wir ihn kennen, ist zerschellt. Die europäische Nachkriegsordnung unter dem Primat der USA löst sich auf. Die Schutzmacht Amerika, auf die sich Deutschland verlassen konnte, will nicht mehr Schutzmacht sein.

In Europa muss Deutschland wieder die Initiative ergreifen. Auch darauf hat Merz vehement hingewiesen. Eine supranationale Rüstungsindustrie aufzubauen ist überfällig. Die Bundeswehr braucht Geld, viel Geld für viele Rüstungsgüter. Deutschland muss für den Fall der Fälle, der Krieg heißt, gerüstet sein. Und wie nebenbei muss die Wirtschaft aus der Krise kommen und der Reformstau im Inneren aufgelöst werden.

Auf diesen Kanzler kommt es an. Große Entscheidungen in Serie werden ihm abverlangt. Man kann nur hoffen, dass er, wie so mancher Vorgänger, über sich hinauswächst.

Vorbei, verweht. Friedrich Merz ist weder besonders beliebt noch besonders geachtet, sonst wäre die Union nicht unter 30 Prozent hängen geblieben. Nebenbei gesagt, ist es erstaunlich, dass auch Markus Söder daraus einen „klaren“ Führungsanspruch ableitet. 

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.

„Ein regelrechter Elektroschock“

Überschrift: „Ein regelrechter Elektroschock“

t-online: Herr Ischinger, Sie können für sich in Anspruch nehmen, dass auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine neue Weltordnung angebrochen ist. Wie überrascht sind Sie?

Ischinger: Die Tatsache, dass Donald Trump eine neue Ordnung ausruft, ist eigentlich wenig überraschend. Verblüffend ist allerdings die Geschwindigkeit und die Methode, die er an den Tag legt. Das tut ganz schön weh.

Im Zentrum der nicht mehr regelbasierten Ordnung stehen Autokraten wie Xi Jinping, Wladimir Putin und Donald Trump. Ist das 19. Jahrhundert im 21. zurück?

Ja, die Welt verändert sich mit atemberaubenderGeschwindigkeit, aber nicht nach rückwärts, sondernnach vorwärts. Dafür sorgen die modernen Technologien, insbesondere die künstliche Intelligenz, die in eine neue, zum Teil noch gar nicht überschaubare Richtung zielen. Unter diesen Bedingungen rivalisieren heute die Großmächte. Aber ich gebe den Glauben noch nicht auf, dass Demokratien mit den Chancen und Risiken der künstlichen Intelligenz besser umgehen können als Diktaturen oder Autokratien.

Was sehen Sie jetzt in Amerika – einen unsicheren Bündnispartner auf Zeit?

Der Kitt des transatlantischen Bündnisses ist  gegenseitiges Vertrauen. Über viele Jahrzehnte war es manchmal getrübt, stand aber nie in Frage. Durch die Ereignisse der jüngsten Zeit ist das Vertrauen leider erheblich gestört. Darüber bin ich zutiefst besorgt. Vertrauen ist ja auch die Währung der Diplomatie, deren Aufgabe es ist, Gegensätze zu überbrücken.

Die Großen regeln untereinander, was ihnen wichtig erscheint, und die Kleinen sind Zaungäste. Schon in der nächsten Woche treffen sich Putins- und Trumps Abgesandte in Riad, um über die Beendigung des Krieges zu reden. 

Für sich genommen, ist das Treffen nicht zu kritisieren. Unter Fachleuten bestand Einigkeit darüber, dass der erste Schritt zur Beendigung des Krieges in der Ukraineeine gewisse Grundverständigung zwischen den USAund Russland sein müsste.

Schon jetzt wissen wir, dass die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen wird, nicht die annektierten Gebiete zurück bekommt und der Nato-Artikel 5, der die Mitglieder zur Verteidigung eines angegriffenen Mitgliedslandes verpflichtet, für die USA nicht verpflichtend ist. Waren die Opfer dann umsonst?

So pessimistisch bin ich nicht. Man kann umgekehrt die Frage stellen, wie groß die Chance denn sein wird, dass Wladimir Putin seine maximalen Ziele erreicht, nämlich den Zustand in Europa vor Beginn der Nato-Erweiterung 1997 um Ungarn, Polen und Tschechien wiederherzustellen. Es ist ja gut möglich, dass er hinter einer unerreichbaren Utopie her ist.

Eine Garantie auf Unabhängigkeit und Sicherheit vor Russland wollte auch Joe Biden nicht geben.

Richtig. Die USA waren und sind aber nicht der einzige Bündnispartner, der das Risiko für zu groß hält, die Ukraine in die Nato aufzunehmen, solange dort nicht tatsächlich wieder Frieden herrscht. Sonst wären die Nato-Mitglieder wegen des berühmten Art. 5  gezwungen, ihre kollektive Verpflichtung auf Beistand zu erfüllen und sich am Krieg unmittelbar zu beteiligen. Ich kann gut verstehen, dass diese Aussicht weder in Washington noch in Berlin noch in etlichen anderen Hauptstädten auf viel Wohlgefallen stößt.

Präsident Trump hat Interesse an Rohstoffen in der Ukraine wie Lithium, Titan, Kobalt und seltenen Erden. Um Zugriff darauf zu bekommen, sollte Stabilität im Land herrschen. Ist das ein Hoffnungsschimmer für das Land?

Das kann man in der Tat so sehen. Den Zugriff auf ukrainische Rohstoffe werden die USA jedenfalls dannnicht bekommen können, wenn Russland die Herrschaft über die ganz Ukraine ausüben könnte.

Ab jetzt kann sich Europa keinerlei Illusionen mehr hingeben. Haben Sie aus Gesprächen auf der Münchner Konferenz den Eindruck gewonnen, dass schon an Konsequenzen gearbeitet wird?

Seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 sprechen wir ihn immer neuen Anläufen von dem notwendigen Weckruf für Europa, die Konsequenzen zu bedenken.Außer viel Papier und frommen Reden ist jedoch nichts geschehen. Vielleicht braucht es in der Tat einen regelrechten Elektroschock, um Europa dazu zu bewegen, endlich selber sicherheitspolitische Verantwortung für den alten Kontinent zu übernehmen.

Können die europäischen Nato-Staaten eine europäische Armee aufbauen?

Ich fand, es bewegend, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj uns Europäer auf der Münchner Sicherheitskonferenz dazu aufgerufen hat, eine europäische Armee aufzubauen. Ich befürchte allerdings, dass die Vision, so schön sie auch ist, noch auf längere Sicht eine Vision bleibt. Was aber machbar sein könnte, wäre eine Stärkung und Konsolidierung der europäischen Verteidigungsindustrie, des europäischen Rüstungsmarkts. Das Ende der Kleinstaaterei wäre erreicht, wenn Rüstungsgut gemeinsam produziert,  gekauft und gewartet würde. Auch die Ausbildung der Soldaten sollte zur Gemeinschaftsaufgabe werden. Auf diese Weise ließen sich übrigens zig Milliarden Euro pro Jahr sparen und damit anders verwenden.

Wie lange kann der Aufbau dauern?

Wenn der politische Wille da wäre, könnten die notwendigen Grundsatzentscheidungen noch in diesem Jahr getroffen werden. Wenn nicht jetzt, wann denn dann? Der französische Präsident Emanuel Macron hat ja schon zu Beratungen über die bedrohliche Lage eingeladen. 

Teilen Sie die Sorge, Putin werde in absehbarer Zeit andere osteuropäische Staaten angreifen, um sich Verlorenes zurückzuholen?

Über Georgien und Moldau kann man sich schon sehrgroße Sorgen machen. Nato-Mitglieder wie zum Beispiel die baltischen Länder sind natürlich auch äußerst alarmiert, aber dort baut das Bündnis Gegenmittel auf, wie die künftige deutsche Brigade in Litauen. 

Am nächsten Sonntag wählen die Deutschen ihr Parlament. Spielt die Außenpolitik auf den letzten Metern noch eine Rolle?

Schön wär’s. Nötig wär’s! Ich finde es verblüffend, dass die sicherheitspolitische Gefahrenlage bisher im Wahlkampf weitgehend ausgeblendet blieb. Offenbar will keine Partei und kein Spitzenkandidat den Wählern die Erkenntnis zumuten, dass unser Trittbrettfahren im Vertrauen auf die Schutzmacht Amerika zu Ende geht und wir enorme Summen investieren müssen, um wieder verteidigungsfähig zu werden. 

Trauen Sie es Friedrich Merz zu, als Kanzler die Bundeswehr kriegsfähig zu rüsten?

Im Prinzip ja, denn der Amtseid setzt ja das Ziel,Schaden vom deutschen Volk abzuwenden! In welchem Maße er die Aufgabe verwirklichen kann, hängt natürlich auch von der Koalition ab, die er bildet.

Herr Ischinger, Sie haben schon als Schüler und später als Diplomat viele Jahre in Amerika verbracht. Was war dieses riesige Land für Sie?

Ein Sehnsuchtsort. Das Land der Zukunft, der Hoffnung,der Freiheit. Damals hatte freilich die tiefe Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft noch nicht eingesetzt, unter der sie heute leidet.

Trump stellt die Dinge in einem furiosen Tempo auf den Kopf. Anne Applebaum, die Trägerin des deutschen Friedenspreises, sagt dazu, der Präsident sei auf „Regime change aus“ – auf einen Systemwechsel von oben. Hat sie recht?

Ja, diese Warnung ist berechtigt. Trump ist stark beeinflusst von der Tech-Philosophie, die Elon Musk verkörpert, wonach demokratische Regeln die technologischen Entfaltungskräfte beschneiden.Dagegen geht Trump vor und dabei bleibt viel auf der Strecke.

In unserem letzten Interview sagten Sie, was Trump im Wahlkampf androht, werde nicht unbedingt genauso kommen. Ein Irrtum aus Wunschdenken?

Trump-Kenner drücken es so aus: Wir neigen dazu, Trump nicht ernst, aber wörtlich zu nehmen. Besser ist es, ihn ganz ernst, aber nicht unbedingt wörtlich zu nehmen.  

Herr Ischinger, danke für dieses Gespräch.

Veröffentlicht auf t-online.de, heute.

Leidenschaftlich liberal

Gerhart Baum war ein liebenswürdiger Mensch. Ihm zu begegnen war immer eine Freude. Er war hellwach, neugierig, wollte hören, was andere dachten, wie sie die Lage einschätzten, welche Schlussfolgerungen sie zogen. Seine eigene Meinung kannte er ja. Er plusterte sie nicht im Stil der Weisheit auf, gewonnen aus einem Leben, das mit deutscher Nachkriegsgeschichte identisch war. Ich verabschiedete mich oft genug klüger und fröhlicher von ihm. Gerhart Baum war schon vor 30 Jahren eine Seltenheit, ein Politiker, der es der Politik nicht erlaubte, ihn als Mensch unsichtbar zu machen.

Er war old school, das ja. Geprägt von seiner großbürgerlichen Herkunft und der Jugend im Nationalsozialismus. Er war zwölf, als seine Heimatstadt Dresden im Feuersturm unterging. Natürlich schärften die Erfahrungen im Krieg und danach seine politische Haltung. Er machte Abitur in Köln in der neuen Demokratie, studierte Jura im Wirtschaftswunder, befürwortete die Aussöhnung mit den Kriegsgegnern in der Entspannungspolitik. Die AfD erschien aus dieser Lebenserfahrung als Wiederkehr des Bösen in neuem Gewande. Die neuen Verhältnisse, in denen die Rechte gedeihen konnten, trieben ihn zur Verzweiflung.

Gerhart Baum war seinem ganzen Wesen nach ein Liberaler. Rund 70 Jahre lang gehörte er der FDP an und machte etliche ihrer Häutungen mit. Den größeren Teil seines Lebens litt er an seiner Partei, wollte sie verändern und trug zu ihrer Reputation bei. Er verstand das Leben und die Geschichte als steten Prozess. Wer so denkt, für den ist es keine Überraschung, dass es nie nur hoch und nie nur runter geht. Das Auf und Ab lässt sich nicht verhindern, aber abfedern.

Momentan geht es mit der FDP bergab. Wahrscheinlich kommt sie bei der Wahl am 23. Februar nicht wieder in den Bundestag. Aus der Sicht eines Veteranen wie Baum lag die Ursache in der Eindimensionalität. Denn die FDP ist heute gleichbedeutend mit Christian Lindner, und der ist gleichbedeutend mit Wirtschaftsliberalismus. Engführung ist schlecht, so viel lässt sich aus der Geschichte des deutschen Liberalismus lernen.

In den 1950er-Jahren war die FDP ein Sammelbecken alter Nazis. Darauf zielte sie ab, damit ließen sich Stammwähler sichern. Sie regierte als kleine Partei mit der großen CDU/CSU, die Kanzler Konrad Adenauer zuerst als Patron und später als Patriarch führte. In diesem Schlepptau blieb die FDP bis zum Machtwechsel 1969. In die Koalition mit der SPD trat sie als doppelte FDP ein: mit der Altlast und einer neuen Generation der Sozialliberalen, zu der Gerhart Baum gehörte.

Sozialliberal hieß: moderner Rechtsstaat und Datenschutz, Betonung des Sozialen in der Marktwirtschaft, Emanzipation der Frauen (die bis 1977 nur mit Erlaubnis des Ehemannes arbeiten durften). Dazu kam der Umweltschutz – jawohl, kaum zu glauben, aber es war die FDP, die als erste deutsche Partei über Umweltschutz redete und ihn in ihr Programm schrieb. Der Bericht des „Club of Rome“ 1972 stieß im etablierten Parteiensystem allein bei den Liberalen auf Aufmerksamkeit.

In dieser Phase war die FDP die spannendste Partei, in der die entscheidenden gesellschaftlichen Diskussionen stattfanden. Dazu trugen Koryphäen wie Karl-Hermann Flach bei, damals ein intellektueller FDP-Generalsekretär, oder Ralf Dahrendorf, der polyglotte Soziologe. Es ist selten, dass in der Politik die gesellschaftlich relevanten Debatten geführt werden. Damals war es so, und die FDP war der Transmissionsriemen.

Es war auch operativ eine goldene Zeit. Es gab nur drei Parteien und wer regieren durfte, SPD oder CDU/CSU, entschied die FDP. Sie war das „Zünglein an der Waage“, so hieß das damals. Damit war es allerdings vorbei, als die Grünen, gerade gegründet, in den Bundestag einzogen. Das politische Spektrum verbreiterte sich, die FDP verlor ihr Monopol. Wie reagierte sie darauf? Sie beschränkte sich auf Wirtschaftspolitik und wechselte von der Helmut-Schmidt-SPD zur Kohl-Union. Gerhart Baum, der Innenminister in den schwierigen Jahren des linksextremen RAF-Terrorismus gewesen war, geriet wie viele Sozialliberale ins Abseits.

Bald darauf verließ Baum den Bundestag und ließ sich als Rechtsanwalt nieder. Sein zweites Leben begann, in dem er tat, was er immer hatte tun wollen: Er fiel dem Staat, der in seinen Ansprüchen zu weit ging, in den Arm. Erfolgreich legte er etliche Verfassungsbeschwerden ein und sorgte so dafür, dass zum Beispiel die Telefonüberwachung eingeschränkt wurde, wovon auch Journalisten profitierten. Zudem ging er erfolgreich gegen das Luftsicherheitsgesetz vor, das erlaubt hätte, Passagierflugzeuge abzuschießen.

Gerhart Baum war ein gefragter Anwalt. Auch Familien, die Angehörige bei Flugzeugabstürzen oder anderen Unglücken wie Lockerbie (libyscher Anschlag auf ein Flugzeug über der schottischen Stadt) oder Ramstein (Absturz bei einer Flugschau mit etlichen Opfern) verloren hatten, wandten sich an die Kanzlei, der Gerhart Baum angehörte.

Er war in seinem Element. Als Bewahrer des Rechtsstaats hatte er sich von jeher gesehen. Auf beispielhafte Weise gelang ihm der Abschied von der Politik nach rund 40 Jahren. Dass sie ihn dennoch nicht ganz losließ, versteht sich von selbst. Im hohen Alter, als die AfD sich zur Bedrohung der real existierenden Demokratie entwickelte, war er ein gefragter Gesprächspartner in den Talkshows.

Nicht zufällig luden sie ihn ein.. Er hatte etwas zu sagen, er trug seine Auffassungen leidenschaftlich, aber differenziert vor. Ein bürgerlich gesonnener Politiker eben mit langer Lebenserfahrung, für den die AfD alles verkörperte, was die Nachkriegsrepublik hinter sich gelassen hatte.

Wenn er sagte: „Es muss besser regiert werden“, so stand dahinter der Zorn über das Schlafwandlertum der Ampel. Wenn er sagte: „Auch die Gleichgültigen sind eine Gefahr“, so stand dahinter das Wissen, wie die Weimarer Republik endete. 

Jetzt ist sie verstummt, diese kraftvolle Stimme liberaler Vernunft. Wie gut für uns, dass wir sie immer wieder hören durften.

Veröffentlicht auf t-online.de