Ohne Zweifel versuchen die Europäer so ziemlich alles, um dem absurden 28-Punkte-Plan, der die Kapitulation der Ukraine bedeuten würde, wenigstens ein wenig Rationalität einzuhauchen. Unter der Führung des Trios aus Großbritannien/Frankreich/Deutschland finden angestrengte Gespräche sowohl auf dem G-20-Gipfel in Johannesburg als auch in Genf statt.
Man würde sich wirklich wünschen, dass sie Erfolg haben. Es wäre, versteht sich, vorteilhaft für die Ukraine und auch für Europa. Aber wie weit lässt sich dieser Plan noch korrigieren? Der amerikanische Präsident beharrt einerseits darauf, dass Wolodymyr Selenskji bis diesen Donnerstag ja sagen muss. Die Alternative ist Weiterkämpfen ohne Waffenhilfe aus den USA, lässt Donald Trump in aller Schnödigkeit wissen. Andererseits stimmte er Verhandlungen mit den Europäern und der Ukraine in Genf zu.
Die Europäer unterbreiten Vorschläge, die das Modell Versailles revidieren sollen – maximale Demütigung für den Verlierer durch den Sieger wie damals nach dem Ersten Weltkrieg. Neu im finsteren Spiel ist nur Trump, der in Kollaboration mit Russland die Bedingungen für den Siegfrieden ausarbeitet.
Sinnvoll wäre es zum Beispiel, zuerst einen Waffenstillstand auszuhandeln und danach über Territorialfragen zu reden. Verständlich ist auch, dass Merz/Macron/Starmer eine Verminderung der ukrainischen Streitkräfte um 200 000 auf 600 000 Soldaten ablehnen. Und natürlich wäre es vernünftig, wenn die Ukraine nicht auch noch um Gebiete im Osten reduziert würde, die sie noch hält.
In Genf sind für die USA Steve Witkoff und Marco Rubio dabei. Witkoff gehört in die Riege der Milliardäre, deren beruflicher Erfolg sie für herausgehobene Posten in der Regierung qualifiziert. Denn in der Trump-Welt ist Unkenntnis geradezu die Voraussetzung für historische Aufträge. Im Vergleich dazu ist Außenminister Rubio ein Ausbund an Sachkenntnis. Er meldete wohl auch vorsichtig Bedenken gegen die 28 Punkte an. Immerhin gehört er nicht zu den Groupies, die vom heftigen Kopfnicken kurz vor Bandscheibenvorfällen stehen.
Mit Rubio können die Europäer reden, während Witkoff Direktzugang zu Macht im Weißen Haus hat. Auf wen hört der Mann im Weißen Haus wohl eher?
Donald Trump lebt momentan wieder seine Ressentiments gegen die Ukraine aus. Selenskji fehle es an Dankbarkeit. Er sei außerstande, die Fakten anzuerkennen, wozu der Verlust der Krim und des Ostens gehörten. Europa sei mitschuldig am Krieg. Donald Trump hat beschlossen, diese bekannte Platte erneut aufzulegen.
Das beleidigte Moralisieren deutet darauf hin, dass der US-Präsident den Krieg vom Halse haben will. Er hatte schon oft viel Verständnis für Wladimir Putin. Nach jedem Telefonat übernahm er dessen Argumente. Nur vorübergehend verlor er die Geduld und verhängte Sanktionen gegen russische Ölkonzerne, die sogar Wirkung erzielten. Jetzt stellt Trump sich wieder ganz auf die Seite Putins. Warum eigentlich?
In Trumps Weltbild dürfen die Großen die Kleinen überwältigen. Russland ist militärisch überlegen, die Ukraine unterlegen. Vor ein paar Monaten sagte der US-Präsident in einem Wutanfall, Putin solle sich doch nehmen, was er sich nehmen wolle. Dabei hilft er ihm jetzt.
Über den Kopf der Kleinen hinweg ordnen die Großen die Dinge, wobei Drohungen mit Ultimaten das Mittel zum Zweck sind. Sie verhandeln so gut wie nie mit den Kleinen darüber, denn verhandeln wäre Schwäche. Nicht zufällig erinnerte Trump gestern in einem Interview an die Frist bis zum Donnerstag – erst der Kotau, dann die Details. Aber warum sollte man über Details nach der Kapitulation noch reden?
In Trumps Welt sind Geschäfte der Kern der Außenpolitik. Russland besitzt jede Menge Öl und Gas. Die Ukraine hat ungehobene Schätze an Seltenen Erden, wenn man auch nicht weiß, in welchem Ausmaß. Mit Russland lassen sich viele Deals vereinbaren. Mit der Ukraine nur wenige. Russland ist geostrategisch wichtig, die Ukraine unwichtig.
Berechenbar bei Donald Trump ist nur das Unberechenbare. Gut möglich, dass er bald schon auch die Europäer mit Beleidigungen überzieht und auf Kapitulation sofort beharrt. Ebenso möglich ist aber auch, dass er in seiner unendlichen Güte Ideen der Europäer aufnimmt und seinen Plan abmildert.
Wir hängen eben alle am Gängelband dieses Präsidenten.
Veröffentlicht auf t-online.de, heute.