Vielleicht löst irgendwann einmal ein Biograph oder einer aus Donald Trumps engerem Zirkel das Rätsel, warum der pompöse Präsident so viel Nachsicht mit Wladimir Putin übt.
Er rollt den roten Teppich in Alaska aus und nichts springt aus dem Treffen heraus. So einen Affront würde der amerikanische Präsident jedem anderen Präsidenten oder Regierungschef übelnehmen, nicht aber Putin. Er droht Russland an, der Ukraine Tomahawks zu liefern, die fraglos Einfluß auf den Krieg nähmen. Dann ruft Wladimir den Donald an und Donald stellt ihm nach eigenen Angaben die umwerfende Frage: „Hättest du etwas dagegen, wenn ich einige Tomahawks an deinen Gegner liefern würde?“
Soll Putin etwa sagen: Ja, gerne, mach’ nur?“ Tomahawks sind hochpräzise Marschflugkörper mit einer Reichweite von 1600 Kilometern, die mehrere Sprengköpfe tragen. Die ukrainische Armee greift zwar in diesen Tagen mit Drohnen aus Eigenproduktion Ölraffinerien und Rüstungsbetriebe im russischen Hinterland an, aber Tomahawks sind ungleich gefährlicher und würden einen Unterschied im Krieg bedeuten.
Trump winkt mit Tomahawks und schon entdeckt Wladimir Putin einen Funken Friedensfreund in sich und schlägt ein Treffen in Budapest vor. Trump freut sich und gibt die Tomahawks nicht her – sorry, war nur so eine Idee. An die beiden Außenminister ergeht der Auftrag, den Tag vorzubereiten, zeremoniell vor allem, siehe Anchorage, aber irgendwie auch inhaltlich.
Budapest ist aus Putins Sicht ein sicherer Hafen. Ungarn erkennt den Internationalen Strafgerichtshof nicht an, der gegen den russischen Präsidenten einen Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen ausgestellt hat.
Aus ungarischer Sicht ist die Ehrerbietung, mit der auch Viktor Orbán den Kriegsherren bedenkt, ziemlich seltsam. Nicht alle Ungarn haben das Jahr 1956 aus dem Gedächtnis gelöscht, als sowjetische Panzer den Volksaufstand überrollten. 350 Menschen wurden hingerichtet, darunter der Ministerpräsident und der Verteidigungsminister sowie 350 Aufständische, vor allem Studenten.
Vor diesem historischen Hintergrund begegnen sich die beiden Herren in kurzer Zeit zum zweiten Mal. Aber wozu? Kaum zu glauben, dass Trump wie im Nahen Osten die Daumenschrauben ansetzt, um erneut als Friedensfürst in Erscheinung zu treten. Kaum zu glauben auch, dass Putin ihn nicht wieder umschmeichelt und dann ins Leere laufen lässt.
Also, was soll das Ganze?
Trump hofft auf die überragende Wirkung seiner Persönlichkeit. Er probiert auf gut Glück aus, ob sich etwas herausschlagen lässt – ein Waffenstillstand, Verhandlungen über Territorium. Dass er Drohungen in den Gesprächen oder danach ausstoßen wird, lässt sich bezweifeln. Der US-Präsident zieht die Samthandschuhe nicht aus.
Eigentlich hätte Putin Grund dazu, über den Kriegsverlauf ins Grübeln zu kommen. Die Sommeroffensive läuft in diesen Tagen aus. Unter hohem Blutzoll erziele die russische Armee nur minimalen Raumgewinn. Diese dritte und größte Offensive ist insoweit ein Fehlschlag.
Das hochseriöse britische Magazin „The Economist“ trug Schätzungen von Regierungen und unabhängigen Instituten zusammen, wie viele Tote und Verletzte beide Seiten beklagen müssen. Seit Kriegsbeginn bis heute sind danach zwischen 200 000 und 400 000 Russen gefallen. 77 403 ukrainische Soldaten sind tot, 77 842 vermisst.
Natürlich greift Russland Nacht für Nacht mit Drohnen und Marschflugkörpern an und verursacht fürchterlichen Schaden. Zivilisten sterben, Häuser werden zu Ruinen. Natürlich sinkt die Moral an der Front und unter Zivilisten, weil der Armee entscheidende Waffen vorenthalten bleiben, von den US-Tomahawks bis zu den deutschen Taurus-Marschflukörpern.
Wolodymyr Selenski macht sich wohl kaum Illusionen, dass sich daran etwas ändern wird. Schon bevor er im Weißen Haus mit ausgesuchtem Wohlwollen empfangen wurde, hatte Putins Sprecher triumphal verkündet, dass die Ukraine keine Tomahawks bekomme.
Trump hat Selenskij versprochen, dass er ihn gleich nach dem Budapester Ereignis über den Stand der Dinge informieren werde. Immerhin, vielleicht ist ihm nicht wohl dabei, den ukrainischen Präsidenten, der ihm zuliebe Anzug trägt, zu enttäuschen. Aber an seiner Vorzugsbehandlung für Putin wird sich deshalb noch lange nichts ändern. Das Rätsel, warum das so ist, bleibt bestehen.
Veröffentlicht auf t-online.de, heute