Ein Jahr lang war Roman Starowoit Verkehrsminister. Dann entließ ihn Wladimir Putin, ohne einen Grund zu nennen, aber dieses Versäumnis hat natürlich Methode. Wer absolut regiert, will sich nicht dafür rechtfertigen, dass ihm ein Gesicht in seiner Regierung nicht mehr gefällt oder jemand durch Inkompetenz seine Gunst verwirkt hat.
Seltsam ist nur, dass Starowoit seine neu gewonnene Freiheit so gar nicht genießen konnte. Bald darauf fand man ihn tot in seinem Auto. Die Sprecherin der Ermittlungsbehörde äußerte dazu einen bemerkenswerten Satz: „Die Hauptversion ist Selbstmord.“
Hauptversion? Gibt es noch andere Versionen?
Selbst in Russland rotierten die sozialen Medien mit wilden Vermutungen. Auf den Telegram-Kanälen reihte sich Spekulation an Spekulation – dass Starowoit zum Selbstmord gezwungen worden ist; dass er in Wahrheit erschossen wurde; dass er schon vor seiner Entlassung tot gewesen ist, ermordet oder durch Suizid.
Wie immer, wenn die Wahrheit nicht auszumachen ist, blühen Verschwörungstheorien. In unseren Breiten sind wir an regelmäßig neuen Theorien über die Ermordung John F. Kennedys gewöhnt. Dass sich aber auch im Unterdrückungs-Reich des Wladimir Putin der Hauptversion Nebenversionen anschließen, ist erstaunlich.
Starowoit war zuvor Gouverneur von Kursk. Kursk ist jene Region, in die die ukrainische Armee vorgedrungen ist. Eine Nebenversion lautet: Er sei deswegen in Ungnade gefallen. Sie ist aber wenig schlüssig, denn dann wäre er ja wohl nicht Verkehrsminister geworden.
Eine andere Nebenversion behauptet, das Chaos auf den russischen Flughäfen hätte ihn den Job gekostet. Das ist schon eher möglich, da die ukrainischen Drohnen auf russisches Gebiet den Flugverkehr mal stark, mal weniger stark beeinträchtigen. Dafür ist der Verkehrsminister zweifelsfrei zuständig.
Wie auch immer: Stärker ins Gewicht fällt, dass mit einer gewissen Regelmäßigkeit politische oder wirtschaftliche Figuren in Ungnade fallen und den tiefen Fall mit dem Leben bezahlen.
Michail Lesin war zum Beispiel Medienminister gewesen. Sicherlich kein herausgehobener Posten, aber immerhin bewegte er sich im weiteren Umkreis des großen Wladimir. Im Jahr 2015 fand man Lesin tot in seinem Hotelzimmer in Washington D.C. auf.
Oder Sergej Protosenya, der Manager beim Staatskonzern Gazprom gewesen war. Gemeinsam mit seiner Frau starb er in einer Villa in Spanien unter ungeklärten Umständen.
Oder Wladislaw Surkow, seines Zeichens Berater von Wladimir Putin, im Jahr 2024 entlassen. Seitdem trat er nicht mehr in Erscheinung , ist vielleicht irgendwo untergetaucht, damit es ihm nicht so ergeht, wie den anderen aus dem Orbit des Kreml-Herrschers.
Die Reihe ließe sich ergänzen, geschweige denn dass man Andrej Navalny vergessen sollte, den Putin in den Gulag stecken ließ, bis er tot war. Aber was lernen wir daraus?
Eigentlich nichts Neues. Dennoch sollten wir nicht vergessen dass die Rachlust echter Diktatoren nicht versiegt und dass sie Freunde, die zu Feinden wurden, bis in den Tod verfolgen.
Veröffentlicht auf t-online, heute.