Natürlich hätte man von ihr gerne noch gewusst, was sie von Putin hält und ob sie glaubt, dass er es bei der Ukraine beläßt. Madeleine Albright gehörte zu den Menschen, die klare Meinungen ihr eigen nennen und damit nicht hinter dem Berg halten. Ihre Stimme war kraftvoll und vibrierte in den höheren Tönen. Damit erreichte sie Kultstatus, der ihr Gastauftritte bei den „Gilmore Girls“ und in „Madame Secretary“ bescherte. Natürlich war sie ein ernsthafter Mensch, gebildet, lehrte in Georgetown, war die erste Außenministerin der USA, aber sie war auch amüsant und nahm sich selber nicht blutig ernst. Schöne Charakterzüge.
Mit Joschka Fischer verstand sie sich richtig gut. Sie mochte ihn, den Autodiktaten, der oft so angestrengt wirkte, weil er sich und der Welt unbedingt beweisen wollte, dass er so gut wie ein geborener Außenminister war. Sie wurde in Prag geboren, kam aus einer Diplomatenfamilie, bürgerlicher geht es kaum. Er stammte aus einer ungarischen Familie, weitaus kleinere Verhältnisse.
Vielleicht wirkte das Gegensätzliche weniger als das Gemeinsame: die Wurzeln in einem anderen Boden, die Flucht, und die nicht einfache Ankunft in einem anderen Land. Das Mütterliche in ihr richtete sich freundlich auf ihn aus und so wurde aus Madeleine und Joschka ein vorzügliches Tandem auf der Weltbühne. Sie sagte über ihn: „Er ist eine der klügsten und moralischsten Persönlichkeiten, die ich kenne.“ Dieses Urteil bildete sie im Kosovo-Krieg, den beide hochmodisch begründeten.
Ihre Eltern hatten 1938 gerade noch im letzten Augenblick die Tschechoslowakei verlassen und die kleine Madeleine wuchs in Amerika auf. Sie beriet etliche demokratische Präsidentschaftskandidaten, eher Verlierer, die heute vergessen sind, mit der Ausnahme Jimmy Carter. Sie pendelte zwischen Universität und Politik, die sie faszinierte und anzog. Sie war 58 Jahre alt und Bill Clintons Kandidatin für das Außenministerium, als sich ihr Leben im Jahr 1996 auf den Kopf stellte.
Ihre Eltern hatten ihr nie erzählt, dass sie jüdischen Glaubens waren und viele Familienmitglieder im Holocaust umgebracht worden waren. Dass erfuhr sie detailliert zum ersten Mal von einem Reporter der „Washington Post“. Er sei plötzlich an sie herangetreten „und zeigte mir eine List von Nazi-Opfern mit den Namen meiner Verwandten. Es war eine Sache, von meinen jüdischen Wurzeln zu erfahren, eine ganz andere, mit dem Horror des Todes in den Lagern konfrontiert zu werden“, sagte sie dem „Spiegel“ vor einem Jahr.
Vor knapp 30 Jahren waren Frauen in herausragenden Ämtern noch eine Seltenheit. Es war ziemlich schlau, dass sie daraus Symbolik schlugen. Margaret Thatcher setzte ihre Handtasche wirkungsvoll ein, zückte sie we ein Schwert und platzierte sie lautmalerisch neben sich. Madeleine Albright fiel durch ihre überdimensionierten Broschen auf, die sie maximal auffälligem Revers trug. Angeblich verband sie damit politische Botschaften an jeweilige Gesprächspartner, was natürlich Quatsch war, aber sie hat sich ganz bestimmt über die Beschäftigung der Journalisten mit Nebensächlichkeiten amüsiert.
Nach ihrer Zeit als Außenministerin schrieb sie Buch auf Buch, war gefragt und ließ sich gerne fragen, reiste umher und suchte Freunde wie Joschka Fischer auf. Ihre Bemerkungen über Putin waren stets von tiefem Misstrauen geprägt. Sie warf ihm falsches Spiel vor, traute ihm viel zu und ermahnte westliche Politiker zur Vorsicht im Umgang mit ihm und zu Klartext im Gespräch, das auch. Tja, sie war eben klug aus historischer Erfahrung. Die jungen Frauen an den heutigen Schalthebeln der Macht können von Madeleine Albright lernen, wenn sie mögen.
Am Mittwoch starb sie nach längerer Krankheit an Krebs.
Veröffentlich auf t-online.de, gestern.
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